Die Landwirtschaft, ist stark von bestäubenden Insekten abhängig. Weltweit erleben wir jedoch einen beispiellosen Rückgang der biologischen Vielfalt. Es besteht dringender Handlungsbedarf, da wir nicht in der Lage sein werden, diesen Verlust an ökologischer Funktionalität manuell oder technologisch zu kompensieren. Die Rettung der Bestäuber und der Biodiversität ist alternativlos. Die Landwirtschaft ist einer der wichtigsten Hebel, die uns zur Verfügung stehen, um unsere Beziehung zu den Lebewesen und den Platz, den wir ihnen einräumen, zu verändern. Wir alle müssen bei der Umstellung unseres Landwirtschaftsmodells helfen, denn wir stehen heute vor der größten Herausforderung, die die Menschheit je zu bewältigen hatte: Zusammenleben oder das Leben auf der Erde aussterben lassen.
Landwirtschaft und Viehzucht beruhen auf uralten, natürlichen Prozessen, deren Vorteile wir zu unserem eigenen Vorteil missbrauchen. Daran ist nichts Abwertendes, im Gegenteil. Es geht darum, dass wir arbeiten, produzieren und uns ernähren, indem wir die spontane - natürliche - Funktionsweise unseres Planeten nutzen.
Zahlreiche natürliche Funktionen sind für unsere landwirtschaftliche Produktion unerlässlich: zB. die der Nützlinge, welche Kulturen vor Bioaggressoren (manchmal auch als Schädlinge bezeichnet) schützen. Funktionen die im Zusammenhang mit dem Recycling organischer Stoffe, d. h. der Rückführung der für das Wachstum der Pflanzen notwendigen Elemente in den Boden und damit in die Pflanzen stehen. Nicht weniger wichtig ist die Funktion der Bestäubung.
Doch seit einigen Jahrzehnten versuchen wir, uns von diesen Funktionen zu befreien, die Natur zu beherrschen und ihre Rolle zu untergraben. Die Landwirtschaft wird dadurch immer technischer. Sie setzt immer mehr Chemie und Mechanik ein, oft auf Kosten der menschlichen Gesundheit, aber auch auf Kosten des Lebens auf der Erde.
Unter den erwähnten natürlichen Funktionen ist die Bestäubung, also der Transport eines Pollenkorns vom Staubblatt (männlicher Teil) zum Stempel (weiblicher Teil) einer anderen Blüte derselben Art, eine zentrale. Da sich Pflanzen nicht fortbewegen können, ist ein Transportmittel unerlässlich. Je nach Art der Pflanze übernehmen der Wind, das Wasser und in der überwiegenden Mehrheit Tiere diese wichtige Rolle.
Die Bestäubung ist daher eine unverzichtbare Voraussetzung für die Fremdbefruchtung von Blütenpflanzen: Der Fruchtknoten verwandelt sich dann in eine Frucht und die befruchtete Eizelle bildet die Nachkommenschaft: Samen, Kerne, Steine.
Auch wenn einige Wirbeltiere als Bestäuber fungieren (zB. Vögel oder Fledermäuse), sind es hauptsächlich Insekten, die diese Funktion erfüllen. 90 % der wild wachsenden Blütenpflanzen sind auf ihre Bestäubungstätigkeit angewiesen. Mit anderen Worten: 9 von 10 Pflanzen würden ohne Insekten nicht oder nur in geringerem Maße existieren.
Aus landwirtschaftlicher Sicht hängen 75% der weltweiten Nutzpflanzen mehr oder weniger stark von der Bestäubung durch Insekten ab, was 35% des produzierten Volumens entspricht. Die größten Mengen stammen tatsächlich von Getreide (Reis, Mais, Weizen, Gerste...), das durch den Wind bestäubt wird. Diese kostenlose Ökosystemdienstleistung wird laut IPBES , auf weltweit 200 bis 490 Milliarden Euro geschätzt, was 5 bis 8 Prozent des Wertes der weltweiten Nahrungsmittelproduktion entspricht! (IPBES, 2016). In Europa hängen 84% der landwirtschaftlichen Produktion von der Bestäubung ab (Collen et al., 2012 ; Ollerton et al., 2011).
In Europa hängen 84% der landwirtschaftlichen Produktion von der Bestäubung durch Insekten ab ! (Collen et al., 2012; Ollerton et al., 2011).
Obstbau, Gemüseanbau, Saatgutproduktion und Ackerbau (Sonnenblumen, Raps, Ackerbohnen...) sind von der Bestäubung abhängig. Entgegen der landläufigen Meinung ist es jedoch nicht allein die Anwesenheit der Honigbiene (Apis mellifera) in den Kulturen, die die Produktion steigert, sondern auch die der wilden Bestäuber, die wesentlich effizienter sind. Manchmal ist der Besuch von mehreren Dutzend Honigbienen erforderlich, um die gleiche Bestäubungsleistung zu erzielen wie eine einzelne Wildbiene der Art Osmia (Mauerbiene).
Die Honigbiene liefert zwar viele wichtige Produkte (Honig, Pollen, Gelee Royal, Wachs, Propolis), aber die Bestäubung kann nicht mit dem Bau von Honigbienenstöcken erledigt werden. Im Gegenteil, eine zu hohe Dichte an Bienenstöcken kann kontraproduktive Auswirkungen haben, da ein Großteil der Pollenressourcen geraubt wird: Von der Honigbiene gesammelt, mit Speichel und Nektar vermischt, ist der Pollen dann steril und steht somit den Pflanzen nicht mehr zur Verfügung.
Darüber hinaus können hohe Honigbienendichten auch andere Folgen haben, wie z. B. eine erhöhte Übertragung von Krankheiten auf Wildbienen oder eine Veränderung der Pflanzengemeinschaften.
Das Vorhandensein und die Vielfalt natürlicher Lebensräume in der direkten Umgebung von Feldern ist für die wildlebenden Bestäuber von entscheidender Bedeutung, da sie ihnen ermöglichen, sich zu ernähren, zu vermehren und ihren Lebenszyklus zu vollenden. Es wurde zudem nachgewiesen, dass das Vorhandensein von halbnatürlichen Elementen, den sogenannten agrarökologischen Infrastrukturen (Hecken, Blühstreifen usw.), das Vorhandensein von Wildbestäubern (in Bezug auf Vielfalt und Häufigkeit) signifikant erhöht. Daraus ergibt sich ein Gewinn an Bestäubung und damit an Produktion (Garibaldi et al. 2016).
Eine effiziente Bestäubung ist für den Anbau von landwirtschaftlichen Kulturen unerlässlich und wirkt sich auf die Quantität und Qualität der Ernte aus. Sie führt zu mehr und größeren Früchten, die nahrhafter, weniger anfällig für Schädlingsbefall oder Krankheiten sind und sich besser lagern lassen.
Mit dem Zusammenbruch der Bestäuber ist also nicht nur unsere Ernährungssicherheit bedroht, sondern auch die Qualität unserer Nahrung. Getreide liefert uns zwar den Großteil des Zuckers (Stärke...), doch sind es die Obst- und Gemüsekulturen, die uns Mineralien, Vitamine (insbesondere A, C, B2, B6, K, Folsäure...), Spurenelemente, Ballaststoffe und sogar die meisten der für uns unentbehrlichen Antioxidantien liefern. So fördert eine Ernährung, die reich an Obst und Gemüse ist, die allgemeine Gesundheit, sorgt für eine längere Lebenserwartung, eine bessere geistige Gesundheit, ein gesundes Herz, ein geringeres Risiko für Krebs, Fettleibigkeit, Diabetes, eine bessere Darmgesundheit sowie eine gestärkte Immunität (Xin, 2016; FAO, 2021).
Kurz: Unsere Ernährungssicherheit und unsere Gesundheit hängen von der Bestäubung ab und damit von einer Vielfalt und einem Überfluss an Bestäuberinsekten, die vor allem wild leben.
Das Vorhandensein und die Vielfalt halbnatürlicher Lebensräume ermöglicht die Aufrechterhaltung funktioneller Gruppen, die für die Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung sind, und fördert zudem die Bestäuber. Blütenpflanzen ermöglichen die Fortbewegung und Ansiedlung blütenbesuchender und bestäubender Insekten, deren Larven weitere Funktionen erfüllen, die für den Ackerbau unerlässlich sind. Zu diesen funktionellen Gruppen gehören u.a.:
Darüber hinaus ermöglicht diese Blütenvielfalt eine angemessene (quantitative und qualitative) Ernährung von Pflanzenfressern, sowohl von Wildtieren und Haustieren. Eine gute Bestäubung ist eine Grundvoraussetzung für eine gute Milch- und Fleischproduktion: Die organoleptischen Eigenschaften der Milch und damit auch der Butter und des Käses hängen von der floristischen Vielfalt ab, die von den Tieren gefressen wird. AOP/AOC sind daher von einer floristischen Vielfalt abhängig und unterliegen dann auch der Präsenz und der Anzahl von Bestäubern.
Die Schweiz zählt (Widmer, Mühlethaler et al. 2021) :
Somit gibt es in der Schweiz zwischen 15.000 und 18.000 bestäubende Insektenarten!
Überall auf der Welt erleben wir derzeit einen beispiellosen Zusammenbruch der Artenvielfalt und insbesondere der Insekten. Eine Studie, die 10 Jahre lang an fast 300 Standorten in Wäldern und auf Wiesen durchgeführt und 2019 in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, zeigte einen Verlust von 80 % der Insektenhäufigkeit, 67 % ihrer Biomasse und fast einem Drittel der Arten (Seibold et al, 2017).
Nun macht dieser globale Kollaps natürlich auch vor den Bestäubern nicht halt, und zahlreiche Studien und Übersichtsarbeiten schlagen seit Jahrzehnten Alarm. So zeigt eine Metaanalyse (Zattarz und Aizen, 2020) einen globalen Rückgang der Bienen weltweit: Nach den 1990er Jahren nimmt die Anzahl der erfassten Bienenarten stark ab. Rund 25 % weniger Arten wurden zwischen 2006 und 2015 im Vergleich zum Zeitraum vor den 1990er Jahren gemeldet. Mehrere Rote Listen (europäische und nationale) und zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten ergänzen diese fatalen Informationen über den Zustand der Populationen. (Nieto et al., 2014; Potts et al., 2015; IPBES, 2016; IPBES, 2018).
Die Schweiz bildet hier keine Ausnahme: Die Rote Liste der Bienen in der Schweiz wurde 2024 aktualisiert: 45% der Arten gelten als ausgestorben oder gefährdet und fast 10% sind nahezu gefährdet.
Wir sind also eng von Lebewesen und insbesondere von bestäubenden Insekten abhängig, deren Bestände weltweit zusammenbrechen. Wir werden nicht in der Lage sein, diesen Verlust an ökologischer Funktionalität manuell oder technologisch zu kompensieren. Die Rettung der Bestäuber und der biologischen Vielfalt im Allgemeinen ist die einzig mögliche Option. Die Ursachen für den Zusammenbruch des Lebens sind mittlerweile gut bekannt und liegen in unseren wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen begründet. Verantwortlich sind die Umweltverschmutzung (Landwirtschaft, Industrie, Straßenverkehr, Haushalte, Licht) sowie die Zerstörung von Lebensräumen und die Änderung der Landnutzung. Diese beiden Ursachen führen zu tiefgreifenden Veränderungen des Klimas. Der Klimawandel wird somit zu einer weiteren erschwerenden Ursache, zu der die Übernutzung der Ressourcen und die Einführung gebietsfremder Arten hinzukommen.
Die kommenden Jahre werden entscheidend und richtungsweisend sein. Werden wir den Lebewesen, die uns umgeben, einen würdigen Platz einräumen, damit sie ihre unverzichtbaren Funktionen, die berühmten Ökosystemdienstleistungen, erfüllen können?
Die Landwirtschaft ist einer der wichtigsten Hebel, die uns zur Verfügung stehen, um unsere Beziehung zu den Lebewesen und den Platz, den wir ihnen einräumen, zu verändern. Jetzt ist es dringend notwendig, Maßnahmen des gesunden Menschenverstands umzusetzen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Wildnis sich entfalten kann. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir so schnell wie möglich aufhören, alles um uns herum zu verschmutzen und zu zerstören. Es erscheint daher dringend und grundlegend, weniger einflussreiche und weniger umweltschädliche Anbaumethoden zu fördern, das Monopol systematischer synthetischer Betriebsmittel aufzugeben und einen Plan für den Ausstieg aus der Nutzung von Pestiziden vorzusehen. Nur um diesen Preis wird die Menschheit ihre Geschichte auf einem bewohnbaren Planeten fortsetzen können.
Wir alle sind betroffen. Wir alle entscheiden über die Landwirtschaft, die uns ernährt. Wir alle müssen bei der Umstellung unseres Landwirtschaftssystems mithelfen. Wir alle stehen heute vor der größten Herausforderung, die die Menschheit je zu bewältigen hatte: Zusammenleben oder das Leben auf der Erde aussterben lassen.
Wir haben nur wenig Zeit, um die Dinge grundlegend zu ändern, aber wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben und uns daran erinnern, dass die Natur die Fähigkeit hat, sich anzupassen und den Zustand der Welt zu reparieren. Dafür ist es unerlässlich, ihr Raum und Zeit zu geben, überall, in Gärten, auf dem Campus, in Kasernen, in Parks und Grünanlagen, an Straßenrändern und natürlich auch in und an den Rändern von Feldern.
Das Leben auf der Erde hängt nun von der Mobilisierung der Menschheit ab. Lassen Sie uns dies zur Kenntnis nehmen!
Unser Dank gilt Hugues Mouret, dem wissenschaftlichen Leiter von ARTHROPOLOGIA, der sich freundlicherweise bereit erklärt hat, diesen Artikel zu verfassen.
Weitere Informationen.
Audio-Podcast-Links zu Wal unter Kies :
Videolinks :
=> https://www.youtube.com/playlist?list= PLGSDRZ91g5gmRAnvGW8QLURg_QUI8sJLT
=> https://pollinisactions.arthropologia.org/webserie-la-pause-biodiv
=> https://pollinisactions.arthropologia.org/diagnostic
=> https://www.youtube.com/playlist?list= PLGSDRZ91g5gmSVgMcmySnSFLWrTRlzKms
[1] Collen B, Böhm M., Kemp R. & Baillie J.E.M. (2012) Spineless: status and trends of the world's invertebrates. Zoological Society of London, United Kingdom, 86 pp.
[2] FAO. (2021). Obst und Gemüse - wichtige Bestandteile deiner Ernährung. International Year of Fruits and Vegetables, Information Note. Rom.(https://doi.org/10.4060/cb2395fr):
[3] Garibaldi et al. (2016) Mutually beneficial pollinator diversity and crop yield outcomes in small and large farms. in Science Vol 351, Issue 6271 pp. 388-391. DOI: 10.1126/science.aac7287
[4] IPBES (2016). The assessment report of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services on pollinators, pollination and food production. Bonn
[5] IPBES (2019). Global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science- Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services: https: //www.ipbes.net/global-assessment
[6] Müller A. & Praz C. (2024). Rote Liste der Bienen. Gefährdete Arten der Schweiz. Stand 2022.
[7] Ollerton J., Winfree R. & Tarrant S. (2011) How many flowering plants are pollinated by animals? Oikos, 120: 321-326.
[8] Potts S., Biesmeijer K., Bommarco R., Breeze T., Carvalheiro L., Franzén M., González-Varo J.P., Holzschuh A., Kleijn D., Klein A.-M., Kunin, B., Lecocq T., Lundin O., Michez D., Neumann P., Nieto A., Penev L., Rasmont P., Ratamäki O., Riedinger V., Roberts S.P.M., Rundlöf M., Scheper J., Sørensen P., Steffan-Dewenter I., Stoev P., Vilà M., Schweiger O. (2015) Status and trends of European pollinators. Key findings of the STEP project. Pensoft Publishers, Sofia, 72 pp. http://step-project. net/img/uplf/STEP%20 brochure%20online-1.pdf
[9] Seibold et al. (2019) Arthropod decline in grasslands and forests is associated with landscape-level drivers. in Nature, 574, pages 671-674. https://www.nature.com/articles/s41586-019-1684-3
[10] Widmer I, Mühlethaler R et al. (2021) Insektenvielfalt in der Schweiz: Bedeutung, Trends, Handlungsmöglichkeiten. Swiss Academies Reports 16 (9): https: //www.dora.lib4ri.ch/eawag/islandora/object/eawag%3A23629/datastream/PDF/Widmer-2021-Diversit%C3%A9_des_insectes_en_Suisse.-%28published_version%29.pdf
[11] Xin, O.J. (2016) Food for children: Why fruits and vegetables are important: https: //www.healthxchange.sg/children/food-nutrition/food-children-fruits-vegetables-important
[12] Zattarz E. und Aizen M. (2020) Worldwide occurrence records reflect a global decline in bee species richness. bioRxiv 869784 ; One earth doi: https://doi.org/10.1101/869784