Artikel

Klimakrise = Krise der Bestäubung? Wie die globale Erhitzung die Bestäubung gefährdet - Teil 1

Solène Schaub
Von
Solène Schaub
am
17/1/25
In Kürze

Als wechselwarme Tiere passen Insekten ihre Temperatur der Umgebung an und ihre Entwicklung wird von der Umgebungstemperatur beeinflusst. Sie haben sich seit Tausenden von Jahren gemeinsam mit den nährenden Blütenpflanzen entwickelt und sich gegenseitig angepasst. Die globale Erhitzung stört jedoch diese synchronisierte Entwicklung, was dazu führt, dass Insekten Schwierigkeiten haben, Nahrung zu finden und Blütenpflanzen bestäubt werden, wobei spezialisierte Arten die größten Verlierer dieses Ungleichgewichts sind.

Einführung

Die Auswirkungen der vom Menschen verursachten Klimakrise sind bereits heute spürbar, doch die größten Veränderungen stehen uns noch bevor. Gemäß den Klimaszenarien für die Schweiz werden folgende Trends erwartet [1]:

  • Anstieg der Durchschnittstemperaturen
  • Weniger regenreiche Sommer
  • Häufige sintflutartige Regenfälle
  • Zunahme der Hitzetage
  • Milde Winter und wenig Schneefall

Diese Trends bleiben nicht ohne Folgen für bestäubende Insekten. Die Umgebungstemperatur hat einen direkten Einfluss auf die Physiologie der bestäubenden Insekten und ihrer Futterpflanzen (siehe unten "Insekten funktionieren nach einer anderen Zeitrechnung"). Die globale Erwärmung beeinflusst die Bestäubungsleistung, indem sie direkt oder indirekt auf die Bestäuber und/oder die Pflanzen einwirkt.[2] In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit den direkten Auswirkungen der globalen Erwärmung auf bestäubende Insekten und ihre Futterpflanzen. In einem zweiten Teil werden wir uns mit den indirekten Folgen beschäftigen.

Insekten funktionieren nach einer anderen Zeitrechnung

Im Gegensatz zu Säugetieren sind Insekten wechselwarme Organismen, was bedeutet, dass ihre Körpertemperatur in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur reguliert wird. Auch ihre Entwicklung ist stark von der Umgebungstemperatur abhängig. Die verschiedenen Entwicklungsstadien - Larve, Nymphe, Erwachsener - werden durch die sogenannten Tagesgrade bestimmt. Die Tagesgrade kombinieren die Dauer und die Temperatur (Summe der Temperaturen über die Zeit). Ein Insekt muss eine bestimmte Anzahl von Tagesgraden durchlaufen, bevor es sich vom Ei zum Erwachsenen entwickelt. Wenn es kalt ist, dauert die Entwicklung länger. Ist es warm, verläuft sie schneller. Insekten altern nicht kontinuierlich, sondern in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur. [3]

Die globale Klimaerhitzung kann die Übereinstimmung zwischen bestäubenden Insekten und ihren Nahrungspflanzen auf vier Arten direkt stören; konkret unterscheidet man zwischen räumlicher , zeitlicher und morphologischer Diskrepanz sowie fehlender Wiedererkennung (siehe Abbildung unten). [4]

Mögliche Auswirkungen der globalen Erwärmung auf bestäubende Insekten (links) und Blütenpflanzen (rechts), die letztlich zu einer Störung der Interaktionen zwischen Pflanzen und Bestäubern führen (Diskordanz). Quelle: Aus dem Englischen übersetzte und leicht angepasste Grafik von Gérard et al. (2020).

Am falschen Ort, zur falschen Zeit

Höhere Temperaturen können Gebiete, die für eine Art ungeeignet sind, neu bewohnbar machen und umgekehrt. Dies bedeutet häufig, dass sich Arten nach Norden und/oder in höhere Lagen bewegen. Solche Verschiebungen der Verbreitungsgebiete wurden bei Bestäubern in großer Zahl beobachtet und mit der globalen Klimaerhitzung in Verbindung gebracht. [5] Die Bestäubung wird problematisch, wenn sich Bestäuber und Pflanzen nicht an die gleichen Orte oder mit der gleichen Geschwindigkeit bewegen. Das ist nicht ungewöhnlich, denn oft haben die Bestäuber und ihre Futterpflanzen nicht genau die gleichen klimatischen Anforderungen und verbreiten sich nicht mit der gleichen Geschwindigkeit(Spatial Discordance). [6]

Die Bestäubung kann auch gestört werden, wenn beide Akteure im gleichen Gebiet vorkommen, aber unterschiedliche Aktivitätszeiten haben und die Pflanzen nicht zur gleichen Zeit blühen, wenn die Insekten aktiv sind(Temporal Discordance). Wenn es früher im Jahr warm ist, kann dies den Zeitpunkt der Blüte und die Flugaktivität beeinflussen. Bei einigen Arten wird der Zeitpunkt der Blüte/der Flugaktivität jedoch stärker von der Tageslänge als von der Temperatur bestimmt. Es kann daher zu zeitlichen Verschiebungen kommen.

Insekten und Blütenpflanzen gehen keine Symbiose mehr ein

Selbst wenn Zeit und Ort passen, kann die Bestäubung durch eine Veränderung der klimatischen Bedingungen verhindert werden. Wärmere Temperaturen können das Aussehen, die Form und die Textur (Morphologie) so verändern, dass eine Bestäubung nicht mehr stattfinden kann(Morphologische Diskordanz). Dafür ist es wichtig zu verstehen, dass sich die Bestäuber-Pflanzen-Interaktionen über Tausende von Jahren entwickelt haben (Koevolution). Die Morphologie und das Verhalten der bestäubenden Insekten sind manchmal sehr genau auf den Bestäubungsmechanismus und die Struktur einer Blüte abgestimmt. Als Reaktion auf die globale Erhitzung werden verschiedene Insektengruppen kleiner, was vermutlich auf einen schnelleren Stoffwechsel zurückzuführen ist. Da die Blütengröße von Pflanzen nicht mit der Temperatur abnimmt, sind Insekten und Blütenpflanzen nicht mehr kompatibel. [5] Ein Beispiel: Mit den wärmeren Sommern haben einige Hummelarten in den letzten Jahrzehnten kürzere Rüssel entwickelt. Dadurch können einige Pflanzenarten nicht mehr von diesen Hummeln bestäubt werden. [7]

Insekten und Bestäuber erkennen einander nicht mehr

Schließlich kann auch diefehlende Wiedererkennung die Bestäubung verhindern. Auf Seiten der Pflanze kann dies durch veränderte Duftstoffe bedingt sein. Blütenpflanzen locken bestäubende Insekten mit spezifischen Duftstoffen, den sogenannten flüchtigen organischen Verbindungen (VOC). Dadurch können die Insekten ihre Futterpflanzen aus der Ferne erkennen. [8] Es wurde nachgewiesen, dass sich VOCs in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur verändern. Beispielsweise werden die produzierte Menge und die chemische Zusammensetzung beeinflusst oder die Ausbreitungsgeschwindigkeit wird erhöht. Bestäuber können verwirrt werden, wenn der Geruch stärker ist oder wenn sich die artspezifischen Geruchseigenschaften ändern. [5]

Auf der Seite der Bestäuber kann sich die Hitze negativ auf die Geruchssensoren auswirken. Bei zu hohen Temperaturen denaturieren die Proteine und können Schäden im Geruchssinn, aber auch im Nervensystem oder an anderen Stellen im Körper verursachen. [5]

Höhere Sterblichkeit

Steigende Temperaturen können zudem die Überlebenschancen der Bestäuber verringern, indem sie die Qualität der Pollen, den Zuckergehalt des Nektars und die Nektarmenge der Blütenpflanzen verringern oder die Pflanzen dazu bringen, mehr Abwehrstoffe einzulagern.

Schlussfolgerung

  • Die globale Erwärmung beeinflusst die Interaktionen zwischen Bestäubern und ihren Nahrungspflanzen auf vielfältige Weise.
  • Einige Effekte gelten für viele Arten, andere treten auf sehr spezifische Weise auf. Während einige Insekten-Gemeinschaften durch die globale Erwärmung bedroht sind, können andere davon profitieren. Besonders gefährdet sind spezialisierte Arten.
  • Ökosysteme sind komplex und es ist schwierig, genaue Vorhersagen über die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Bestäubung zu treffen. Die potenziellen Schäden, die durch die Gefährdung der Bestäuber entstehen, sind besorgniserregend.

[Originalquelle: Ohnegift.ch].

Unser Dank gilt dem Team von ohnegift, das uns freundlicherweise die Erlaubnis erteilt hat, ihren Artikel zu publizieren.

Der Klimawandel hat auch indirekte Auswirkungen auf Lebewesen und Ökosysteme. Er kann zum Beispiel die Ausbreitung und Ansiedlung neuer Arten in der Schweiz begünstigen. Was bedeutet das für bestehende Bestäubungssysteme? Erfahren Sie es in Teil 2 dieses Artikels.

Teil 2 lesen
FAQ

Mehr erfahren

No items found.