Die Kampagne zur Biodiversitätsinitiative, über die in der Schweiz am 22. September 2024 abgestimmt werden soll, ist Gegenstand einer massiven Verbreitung von Desinformation, Fehlinformation und Malinformation (MDM). Desinformation bezeichnet das Erfinden und wissentliche Verbreiten falscher Informationen mit dem Ziel, anderen zu schaden und/oder eigene Interessen zu verfolgen. Es geht darum, Desinformation von Fehlinformation und Malinformation zu unterscheiden. Unter Malinformation versteht man die absichtlich irreführende Darstellung eines tatsächlichen Sachverhalts, der im Wesentlichen wahrheitsgetreu ist, aber durch die verzerrte Weitergabe von Informationen auch dazu benutzt wird, um anderen zu schaden und/oder eigene Interessen zu verfolgen. Fehlinformation ist die Weiterverbreitung und Wiederholung von Desinformation und Malinformation ohne Kenntnis ihres unwahren und/oder manipulativen Charakters. [1]
Am 16. August sagten die Umfragen der Biodiversitätsinitiaitve mit 51% noch ein knappes Ja voraus. Aber Vorsicht, die Kampagne hat gerade erst begonnen. Die MDM-Macher treten vor allem in den letzten Wochen und Tagen vor der Abstimmung in Aktion, hauptsächlich über soziale Netzwerke. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Initianten die Auswirkungen der massiven Verbreitung von MDM im politischen, medialen und digitalen Raum auf das Thema und die Herausforderungen des Verlusts der Biodiversität berücksichtigen. Denn sie kann dazu führen, dass die Bevölkerung nicht sensibilisiert wird, sondern dass das Phänomen verharmlost wird. Ganz nach dem Motto: „In der Schweiz tun wir schon genug“ und „Die landwirtschaftliche Produktion ist in Gefahr“. Zunächst ist es daher notwendig, die Fakten zum Verlust der Biodiversität in der Schweiz sowie zu den konkreten Forderungen der Initiative genauer anzuschauen.
Laut dem Bundesamt für Umwelt sind in der Schweiz 35% der 56 000 Pflanzen-, Tier- und Pilzarten, die im Jahr 2023 dokumentiert sind, ausgestorben oder vom Aussterben bedroht. Entgegen der landläufigen Meinung ist die Situation in der Schweiz sogar noch besorgniserregender als in unseren europäischen Nachbarländern: Bei den Brutvögeln zum Beispiel liegt der Anteil der bedrohten Arten bei uns bei über 41%, in Frankreich dagegen bei 27%. Bei Amphibien und Süßwasserfischen liegt der Anteil der bedrohten Arten bei uns bei 81% und 75%, in Deutschland dagegen bei 30% und in Frankreich bei weniger als 20%. Darüber hinaus ist das Risiko des Artensterbens zwischen 2016 und 2022 im Vergleich zu 2001 und 2007 weiter gestiegen, sowohl für Pflanzen, Vögel, Fische als auch Reptilien. [3]
Mit dem Verlust der genetischen Vielfalt geht auch ein Verlust der funktionalen Diversität einher. Fast die Hälfte der 230 natürlichen Lebensräume des Landes verschwinden und die ökologische Qualität aller Lebensräume, wie Trockenwiesen, Seeufer oder alpine Auen, nimmt weiter ab. Dies selbst in den geschützten Biotopen von regionaler Bedeutung [4]. Ohne Vielfalt an Lebensräumen gibt es keine Vielfalt an Arten und umgekehrt. Diese Lebensräume sind nicht nur für das Funktionieren natürlicher Prozesse notwendig, sondern auch für ein Gleichgewicht, ohne das sich unsere Gesellschaft nicht entwickeln und überleben könnte. Dabei geht es um Funktionen wie z. B. die Reinigung von Luft, Wasser und Böden, die Stabilisierung des Geländes und die Regulierung des Klimas. Beispielsweise sind in der Schweiz 84% der Moore verschwunden, obwohl sie zu den Ökosystemen gehören, die die größten Mengen an CO2 speichern.
In der Schweiz wird das Verschwinden von Lebensräumen durch die rasante Verstädterung, die intensive Landwirtschaft, den Ausbau der Verkehrswege, den nicht nachhaltigen Tourismus und die Verschmutzung von Wasser, Luft, Böden und lebenden Organismen durch den Eintrag von langlebigen, giftigen und hormonell störenden Chemikalien wie synthetischen Pestiziden, Mikroplastik, Industrie- und Haushaltsabwässern verursacht. Zu dieser chemischen Verschmutzung kommen noch die Auswirkungen von Licht- und Lärmbelastung hinzu. Nicht zuletzt sind auch die schädlichen Auswirkungen viel zu hoher Stickstoffwerte in der Luft, im Wasser und in den Böden zu bedenken, die hauptsächlich von zu häufigen und zu großen Düngerausbringungen herrühren, die wiederum auf eine unverhältnismäßig hohe Anzahl von Nutztieren (Rinder, Schweine und Hühner) im Schweizer Mittelland zurückzuführen ist.
Der Verlust von natürlichem Boden, der die Grundlage für alles Leben auf der Erde bildet, schreitet in einem erschreckenden Tempo voran. Die bebaute Fläche, hauptsächlich aufgrund der Vergrösserung des Siedlungsgebietes ist zwischen 1985 und 2018 um 61% gewachsen - doppelt so schnell wie die Bevölkerung! [5]
Die globale Erwärmung ist ein weiterer Faktor, der unsere Ökosysteme zunehmend destabilisiert. Die Geschwindigkeit der Veränderungen lässt den Arten keine Zeit, sich anzupassen, die Verbreitungsgebiete werden auf den Kopf gestellt, die schnelle Verschiebung des Beginns der Vegetationsperiode wirkt sich auf die Nahrungsketten aus. Die Klimaerhitzung schwächt nicht nur die einheimischen Arten, sondern fördert auch die Entwicklung invasiver Arten. Diese Arten, die absichtlich oder unabsichtlich durch den internationalen Handel und Tourismus eingeführt und verbreitet werden, treffen in ihrem neuen Lebensraum nicht auf direkte Räuber oder Konkurrenten und vermehren sich auf Kosten der einheimischen Arten teils exponentiell.
Angesichts eines solchen anthropogenen Drucks zeichnet sich die Schweiz seit etwa dreissig Jahren durch einen geringen Anteil an geschützten Flächen im Verhältnis zur Gesamtfläche des Landes aus. Gebiete, die einem besonderen Schutz von Arten und Lebensräumen unterliegen, machten im Jahr 2023 nur 6,7 % der Schweizer Landesfläche aus. Dazu gehören der Nationalpark in Graubünden, die Wasser- und Zugvogelreservate, die eidgenössischen Wildschutzzonen (Jagdverbotszonen) und die über das Land verstreuten Biotope von nationaler Bedeutung. Diese bestehen aus Hoch- und Flachmooren, Auengebieten, Amphibienlaichplätzen sowie Trockenwiesen und -weiden. Letztere sind die einzigen, die den Status von Biotopen und landwirtschaftlichen Flächen vereinen (sie machen weniger als 8% der gesamten Schutzgebiete aus). [6] Die Schweiz wurde übrigens im OECD-Bericht von 2017 für ihre unzureichenden Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt gerügt. Dabei wurde daran erinnert, dass das internationale Aichi-Abkommen seit 2010 das globale Ziel von 17% Schutzfläche in den nationalen Territorien bis 2020 festgelegt hat. vii Diese Tatsachen lassen die Schweiz hinter alle europäischen Ländern zurückfallen, deren durchschnittliche Schutzgebiete im Verhältnis zur Gesamtfläche 26% betragen, Österreich zum Beispiel liegt bei 15%, das Vereinigte Königreich bei 9% und Slowenien ist mit 38% Spitzenreiterin. [8]
Laut einem Bericht von InfoSpecies der Universität Neuchâtel „Estimation des surfaces de qualité existantes et des besoins en surface supplémentaire“ ix bedarf die Sicherung der Biodiversität in der Schweiz einer zusätzlichen Fläche von 650.000 Hektar. Das entspricht unter Berücksichtigung der bereits geschützten Flächen sowie der Flächen zur Förderung der Biodiversität in der Landwirtschaft mehr als 15% der Gesamtfläche unseres Landes. Das Ziel könnte sowohl durch neu geschützte Gebiete als auch durch Aufwertung von Flächen erreicht werden. Die Herausforderung besteht darin, sie an der richtigen Stelle zu schaffen, um bestehende hochwertige Flächen zu verbinden und zu vergrößern, um so eine bessere Vernetzung in der Landschaft zu erreichen. Dieser Schluss wurde auf der Grundlage der Daten von Millionen von Beobachtungen von Arten, deren Grundbedürfnisse (Nahrung, Lebensraum, Fortpflanzung usw.) nicht mehr gedeckt sind, sowie von Statistiken über das Vorkommen von Arten gewonnen.
Angesichts der oben genannten Tatsachen bleiben die Forderungen der Initiative, die vom Nein-Lager immerhin als „extrem“ bezeichnet wird, sehr bescheiden. Es gibt keine zahlenmässige Forderung zur Gesamtfläche an Gebieten, die in der Schweiz unter Schutz gestellt werden soll. Der Text wird wie folgt formuliert [10]:
In Ergänzung zu Art. 78 sorgen der Bund und die Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten:
a. Landschaften, Ortsbilder, geschichtliche Stätten sowie schutzwürdige Natur- und Kulturdenkmäler zu erhalten ;
b. Natur, Landschaft und Baukultur auch ausserhalb von Schutzobjekten zu schonen ;
c. die Flächen, Ressourcen und Instrumente zur Verfügung zu stellen, die für die Erhaltung und Stärkung der Biodiversität notwendig sind.
Dabei ist zu beachten, dass die Schweizer Verfassung den Erhalt der Biodiversität noch immer nicht spezifisch verankert hat. Weiter ist der Aktionsplan des Bundes seit 2017 aufgrund fehlender finanzieller und personeller Ressourcen (Ergebnis der Haushaltsbeschlüsse der rechten Parlamentsmehrheit) ins Stocken geraten. Dies hält der Bundesrat selbst fest: „Ab 2017 und aufgrund fehlender Ressourcen musste der Bundesrat mehrere Maßnahmen für die zweite Phase der Umsetzung des Aktionsplans Strategie Biodiversität Schweiz verschieben.„ [11] Darüber hinaus überträgt die Verfassung den Kantonen die gesamte Verantwortung für den Naturschutz. Die Planung der ökologischen Infrastruktur und der Wildtierkorridore erfordert jedoch die Beteiligung und Unterstützung des Bundes, um den Zusammenbruch unserer Biodiversität aufzuhalten.
Dieser Text zielt also darauf ab, den Bund bei einem so zentrales Thema stärker in die Verantwortung zu nehmen. Dazu zählen: unsere Resilienz gegenüber der Klimaerhitzung, unsere Ernährungssouveränität, unsere lebenswichtigen Ressourcen (Luft, Wasser, Böden) und damit unsere Gesundheit. All dies ist eng mit dem Funktionieren unserer Ökosysteme verknüpft.
Der Initiativtext überlässt es jedoch dem Gesetzgeber und der Verwaltung, das Budget anzupassen und die spezifischen Ziele dafür festzulegen. Was der Nationalrat im vergangenen Jahr mit der Erarbeitung eines Gegenvorschlags versuchte, wäre ein Kompromiss, ganz nach Schweizer Tradition gewesen. Der Ständerat jedoch sah keinen Handlungsbedarf und verpasste den Vorschlag im vergangenen Juni eine Abfuhr.
Die beiden größten Organisationen, die die Initiative offen ablehnen, sind die rechtskonservative SVP und der Schweizerische Bauernverband (SBV). Beide Organisationen haben sich in den letzten Jahren durch ihre Haltung hervorgetan, die Interessen der Agrochemie gegenüber den Interessen der Landwirte zu bevorzugen. Altersvorsorge für ihre Mitglieder, die mit sinkenden Erzeugerpreisen konfrontiert sind, oder indem sie die Anerkennung von Berufskrankheiten wie zB. Parkinson, die durch chronische Pestizidexposition verursacht werden, nicht unterstützten. Diese Positionen lassen sich gut erklären mit Blick auf das Bündnis, das 2017 zwischen economiesuisse und dem SBV geschlossen wurde, um die Konzernverantwortungsinitiative zu Fall zu bringen, sowie durch die Zusammensetzung der SVP-Fraktion, die seit der Ära Blocher verändert hat oder die Interessenkonflikte, die diese Partei direkt mit der Chemieindustrie (Petrochemie, Kunststoffe und Agrochemie) verbinden, personifiziert durch Nationalrätin Magdalena Martullo Blocher, Tochter des Milliardärs und Ex-Bundesrats. Sie sitzt in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben, ist Chefin des multinationalen Chemieunternehmens EMS und Mitglied des Vorstands von Scienceindustries [12]. Dies ist das mächtigste Industriekonglomerat der Schweiz mit globalem Einfluss. Im Gegensatz zu dem, was der Namen vermuten lässt, hat die unabhängige wissenschaftliche Forschung keinen Platz in einer Organisation, die auf die Bündelung riesiger finanzieller Interessen ausgerichtet ist. Die gesamte Agrarindustrie ist dort vertreten, inklusive dem Chemie-Gigant Bayer oder Syngenta, die vor einigen Jahren von der chinesischen Firma Chimchina aufgekauft wurde.
Die Kommunikationsstrategien der SVP und des SBV basieren auf Desinformation und Malinformation, die als teilweise wahrheitsgetreu definiert werden, deren Inhalte jedoch verfälscht, fragmentiert und zur Irreführung verwendet werden. Informationen werden teils einfach erfunden oder aus dem Zusammenhang gerissen, um so ihre Bedeutung wissentlich falsch darzustellen. Die Strategie besteht darin, Daten nicht nur so zu manipulieren, um den Eindruck zu erwecken, dass die Landwirtschaft genug tut (indem sie die Auswirkungen von chemischer Verschmutzung und Düngemitteln verschweigt) sondern auch, um die Aufmerksamkeit vollständig von der Verantwortung anderer großer Wirtschaftsakteure wie der Baubranche oder dem Tourismus, abzulenken. Auf diese Weise wird versucht, die Kluft zwischen den „umweltbewussten Städtern, die nichts verstehen von Landwirtschaft“ und den „ländlichen Gebieten, die unter dieser Ignoranz leiden“, weiter zu vertiefen. Das Ganze wird dann von Internetnutzer*innen und Hörer*innen (Radio, Fernsehen) bewusst oder unbewusst weiterverbreitet, was als Fehlinformation bezeichnet werden kann und schließlich zur Manipulation führt.
Die SVP verbreitet seit einigen Wochen ein Video auf Youtube, das diese Manipulation von Zahlen und Konzepten vereinfacht [13]. Nach einer sehr allgemeinen Einleitung über die Entwicklung der Landnutzung, der Sesshaftwerdung, der Industrialisierung und der Globalisierung wird alles miteinander vermischt und das obwohl es in erster Linie um die Veränderung der landwirtschaftlichen Produktionsmethoden seit den 1950er Jahren gehen sollte. Es wird behauptet, dass „die Einführung der Direktzahlungen im Jahr 1990 die Folge eines kollektiven Bewusstseins im Zusammenhang mit Ökologie und Tierschutz“ sei. Es wird vor allem nicht erwähnt, dass der Hauptgrund für die Einführung der Direktzahlungen darin bestand, dass der Bund 1992 die Preisgarantie für landwirtschaftliche Erzeugnisse aufgab, die in der alten Agrarpolitik (AP) festgelegt war und unsere Landwirte vor Preisschwankungen und ausländischer Konkurrenz schützte. Erst danach wurde schrittweise der ökologische Leistungsnachweis (ÖLN) eingeführt [14].
Im Video wird behauptet, dass „jeder Betrieb 7% seiner Fläche zur Förderung der pflanzlichen und tierischen Vielfalt (BFF) zur Verfügung stellen muss, und dass diese Fläche derzeit 16% beträgt“. Diese Behauptung ist irreführend, weil :
1. Es stimmt nicht, dass sich diese Zahl von 7 % auf jeden einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb im Land bezieht. Die „Spezialkulturen“, also Obst-, Wein- und Gemüsebau, die im konventionellen Anbau gerade am stärksten auf Insektizide und Fungizide angewiesen sind, müssen nur 3.5% ihrer Fläche als BFF* zur Verfügung stellen [15].
2. Es wird eine Zahl von 16% „Fläche zur Förderung der Biodiversität“ genannt. Es wird dabei aber nicht präzisiert, dass es sich dabei um 16% der „landwirtschaftlichen Nutzfläche“ (LNF) handelt, die nur etwas mehr als ein Viertel des nationalen Territoriums ausmacht (1.042.500 ha oder 10.425 km2 im Vergleich zu 41.285 km2). Dies ist logisch, wenn man bedenkt, dass unser Land zu einem großen Teil aus Gebirgen besteht, die für den Ackerbau ungeeignet sind. So entsprechen 16% der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Verhältnis zur Gesamtfläche des Landes nur 3,9% Biodiversitätsförderfläche (BFF), die mit dem ökologischen Leistungsnachweis in Verbindung steht, der wiederum mit den Direktzahlungen verknüpft ist.
3. Die BFF, die den Erhalt von hochstämmigen Bäumen, Hecken, verschiedenen Arten von Wiesen, trockenem und feuchtem Grasland usw. auf dem Betrieb umfassen, werden - wenig überraschend - hauptsächlich von der ökologischen Landwirtschaft bereitgestellt, die 18% der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmacht, aber sehr ungleich verteilt ist. Sie beträgt beispielsweise 77% im Engadin (GR), aber nur 7% im Berner Seeland (Gemüseanbau) [16].
4. Eine weitere interessante Zahl ist, dass im Jahr 2022 16% der 2,779 Milliarden Franken an Direktzahlungen für die Förderung der Biodiversität verwendet wurden. [17] Laut demselben Agrarbericht, ebenfalls im Jahr 2022: „Der durchschnittliche Anteil der BFF an der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LNF) in allen Gebieten lag bei 17,6%. Wenn hochstämmige Obstbäume, Einzelbäume und Alleen mit einer Are pro Baum berücksichtigt werden, beträgt der Anteil der BFF an der landwirtschaftlichen Nutzfläche 19,3 %“. Auf ihrer Website und in ihrer übrigen Kommunikation wird diese Zahl von 19% verwendet.
Weiter heißt es im SVP-Video: „75% der BFF-Flächen sind miteinander verbunden, um den Austausch zwischen wildlebenden Arten zu fördern“. Diese Zahl ergibt sich jedoch aus der Summe jeder Art von Flächen für die Biodiversität (extensive Wiesen, Hecken, Uferwiesen, Buntbrachen usw.). [18]. Es ist völlig irreführend zu behaupten, dass die Summe der betroffenen Flächen de facto zur Bildung eines landesweiten Netzwerks und zur Schaffung von Wildtierkorridoren führt. Genau daran mangelt es im derzeitigen System aufgrund der Fragmentierung der Landschaft, der Isolation von ökologisch wirtschaftenden Betrieben innerhalb konventioneller Betriebe und der zunehmenden Infrastrukturbauten, die weiteres Agrarland in Anspruch nehmen.
Wir sehen, dass die Ähnlichkeit von Zahlen, Prozentsätzen und deren Manipulation, in Verbindung mit komplexen agronomischen Konzepten, es der Agrarindustrie-Lobby leicht macht, Verwirrung zu stiften und zu behaupten, dass die Ziele zum Schutz der Biodiversität in der Schweiz nicht nur erreicht werden, sondern auch, dass sie vollständig dank des Agrarsektors erreicht werden.
Weiter stiftet der Text Verwirrung, in dem er die einheimische Produktion so beschreibt, als wäre sie per se zugunsten der Biodiversität, auch wenn es sich oft um eine sehr intensive Produktionsweise handelt. Darüber hinaus werden Labelprodukte hervorgehoben, ohne jedoch diejenigen zu erwähnen, die de facto am meisten zur der Biodiversität beitragen (Bioknospe Knospe oder Demeter) und räumt einmal mehr die negativen Folgen von Pestiziden und einem übermäßigen Düngereinsatz auf die Biodiversität aus dem Weg.
Schließlich endet die Botschaft mit dem Hinweis, dass „unsere Umwelt vom Menschen gestaltet wurde und dass alle unsere Handlungen Auswirkungen auf die Natur haben“, womit das Vokabular von Umweltverbänden und Umweltschützern übernommen wird, um die Verwirrung bei den Nutzer*innen zu perfektionieren. Dabei wird jedoch vergessen zu erwähnen, dass das Modell der intensiven landwirtschaftlichen Produktion, das von den Vertretern des SBV & der SVP im Parlament bei jeder Gelegenheit verteidigt und gefördert wird, einen ökologischen Fußabdruck hat, der mit dem der biologischen Landwirtschaft nicht zu vergleichen ist. Warum stimmen diese Parlamentarier dann aber systematisch gegen eine Verringerung des Einsatzes synthetischer Pestizide oder gegen eine Agrarpolitik, die die Umstellung auf biologische Landwirtschaft unterstützen kann, was zu erschwinglicheren Preisen für die Verbraucher führen und endlich den Schutz der Bestäuberinsekten verbessern würde? [19]
Die Vertreter*innen der Allianz gegen die Biodiversitätsinitiaitve (hauptsächlich bestehend aus SVP, SBV und Teilen der Wirtschaft) machen sich nicht einmal die Mühe, Zahlen falsch zu interpretieren, sondern erfinden sie schlicht und ergreifend. Auf ihrer Website hebt die Allianz vor allem drei Argumente für die Ablehnung der Biodiversitätsinitiative hervor: [20]:
1. Sie würde 30% des Staatsgebiets auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion „unantastbar“ machen. Dieses Argument ist in mehrfacher Hinsicht irreführend.
a. Erstens nennt die Initiative, wie bereits erwähnt, keine konkreten Zahlen für die Fläche, die zur Erhaltung der Biodiversität benötigt wird, sondern fordert lediglich den Gesetzgeber und die Regierung auf, das Notwendige dafür zu tun.
b. Zweitens wird die Zahl von 30% fälschlicherweise aus dem Bericht der Universität Neuchâtel übernommen, in dem es heißt, dass insgesamt 30% der Landesfläche für die Erhaltung der Biodiversität geeignet sein sollten. Wenn im Initiativtext ein quantitatives Ziel hätte festgelegt werden sollen, dann wäre es das von Wissenschaftlern empfohlene Ziel von 15% mehr geschützten Flächen gewesen. Diese können sowohl durch die Schaffung neuer Schutzflächen als auch durch die Aufwertung von Flächen erreicht werden, die die ökologische Vernetzung verstärken, aber weiterhin für menschliche Aktivitäten genutzt werden können. Dies gilt für den nachhaltigen Tourismus in den Bergen, die Entwicklung von Biodiversitätsförderfläche in der Landwirtschaft oder die Förderung der Natur in den Städten. Es sind also neue „hochwertige“ Flächen, die wir brauchen.
c. Drittens sind und wären diese Flächen über das ganze Land verteilt, wobei sich der zusätzliche Bedarf zur Erhaltung oder Wiederherstellung der ökologischen Vernetzung auf das Flachland konzentriert. Wie bereits erwähnt, nimmt die landwirtschaftliche Nutzfläche nur ein Viertel der Landesfläche ein. Es ist daher schlicht falsch zu behaupten, dass eine zusätzliche geschützte Fläche zwangsläufig und ausschließlich auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion gehen würde. Der Vergleich mit der Fläche von vier Kantonen zusammen (Bern, Freiburg, Neuenburg und Solothurn) ist nicht zutreffend, sondern wurde gewählt, um die Bürgerinnen und Bürger möglichst stark zu verängstigen.
2. Die Zahl von 19% landwirtschaftlicher Nutzfläche (als Anteil der gesamten Landesfläche), die der Förderung der Biodiversität gewidmet sind, wird wieder aufgegriffen. Erneut mit der Fläche von Kantonen verglichen (Genf und Freiburg in diesem Fall für die Romandie), aber dann in “19% der landwirtschaftlicher Nutzfläche” umgewandelt auf die dann zwei problematischen Sätzen folgen:
a. „Die Gewährung von Direktzahlungen setzt heute jedoch nur eine Fläche von 7% pro Betrieb voraus“, die Formulierung lässt vermuten, dass jeder Betrieb im Durchschnitt viel mehr für die Biodiversität aufwenden würde, als das in der Realität der Fall ist.
b. „Zusätzlich gibt es 220.000 Hektar Grünland im Sömmerungsgebiet“, obwohl diese Flächen bereits in den insgesamt 19% enthalten sind! (siehe Details zum Anteil der Biodiversitätsflächen an der landwirtschaftlichen Nutzfläche :
https://www.agrarbericht.ch/de/politik/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege)
3. Es wird behauptet, „dass im Falle einer Annahme der Initiative die Umsetzung der Schweizer Energiestrategie und damit die Energiewende gefährdet wären.“ Es ist völlig falsch, dass die Initiative, so wie sie beschrieben wird, diesen Effekt haben könnte.
Auch hier muss der Gesetzgeber das Dilemma zwischen dem Ausbau den erneuerbaren Energien und dem Naturschutz lösen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist im Stromgesetz verankert, könnte aber auch ohne weitere Bedrohung der Artenvielfalt erfolgen, indem man beispielsweise bestehende Infrastruktur (wie Staudämme, Verkehrswege, Parkplätze und Dächer), auch in den Bergen, bevorzugt, anstatt große Solarparks inmitten der Natur zu bauen. Dies setzt jedoch eine Verringerung des Verbrauchs, eine veränderte Nutzung (Suffizienz) und eine Steigerung der Effizienz voraus.
Vor diesem Hintergrund besteht die Strategie der SVP schlicht und einfach darin, die tieferen Ursachen der grossen ökologischen Krise, in der wir leben, zu leugnen, die Probleme zu verniedlichen und die Aufmerksamkeit auf Nebenschauplätze zu lenken. Die Partei hat eine sogenannte „Nachhaltigkeitsinitiative“ in einem perfekten Timing lanciert, mit der sie die Frage der Auswirkungen des anthropogenen Drucks in der Schweiz auf die Biodiversität und generell auf die Umwelt auf die Frage des Bevölkerungswachstums reduziert* [21]. Dies lenkt von der entscheidenden Rolle, die die chemische Verschmutzung, insbesondere durch die Landwirtschaft (Pestizide), beim Verlust der Insekten- und Vogelpopulationen spielt, ab. Es sollte auch daran erinnert werden, dass es der ökologische Fußabdruck pro Kopf, unsere technologischen Fortschritte sowie die Verteilung der Ressourcen sind, die darüber bestimmen, ob unsere Ökosysteme erhalten werden können oder nicht. So sind beispielsweise die Landnutzung und die Ausdehnung der Siedlungsgebiete zwischen 1985 und 2018 doppelt so schnell gewachsen wie die Bevölkerung [22]
Während sich die Parlamentarier*innen dieser Partei dadurch auszeichnen [23], dass sie nur in 4% der Fälle für die Umwelt stimmen und sich gleichzeitig als die neuen Naturschützer*innen inszenieren, missbrauchen sie den Begriff „Nachhaltigkeit“ für sich, um ihn in ein xenophobes Instrument umzuwandeln. Hier zeigt sich wieder die durchschaubare Strategie, das eine zu behaupten, während die entscheidenden Handlungen in eine völlig andere Richtung gehen. In den letzten Session haben sich die SVP-Politiker*innen und die bürgerliche Mehrheit durch Entscheidungen hervorgetan, die besonders ungünstig für die Biodiversität und die menschliche Gesundheit sind. Sie haben das CO2-Gesetz geschwächt (obwohl es das wichtigste Instrument zur Umsetzung des im Juni 2023 beschlossenen Klimaschutzgesetzes ist), den Lärmschutz geschwächt, die Luftschadstoffgrenzwerte erhöht, den Pestizidreduktionsplan des Bundes blockiert und den Schutz von Wäldern, Mooren und Auen geschwächt, um nur einige Beispiele zu nennen.
In einem solchen Kontext von Angriffen auf die Artenvielfalt und die Umwelt scheint die Verankerung des Schutzes unserer Biodiversität in der Verfassung wirklich das Minimum zu sein!
[1] Desinformation: Ein Krieg des 21. Jahrhunderts - Die Hintergründe der Karten | ARTE https://www.arte.tv/fr/videos/114573-003-A/le-dessous-des-cartes/
[2] https://www.rts.ch/info/suisse/2024/article/legere-avance-pour-l-initiative-sur-la-biodiversite-et-incertitude-pour-la-reforme-lpp-selon-un-sondage-ssr-28599485.html, abgerufen am 18. August 2024
[3] BAFU, Gefährdete Arten und Lebensräume in der Schweiz, Synthese, 2023: https: //www.bafu.admin.ch/bafu/fr/home/themes/biodiversite/publications/publications-biodiversite/especes-menacees-suisse.html
[4] https://www.bafu.admin.ch/bafu/fr/home/themes/biodiversite/info-specialistes/etat-de-la-biodiversite-en-suisse/etat-des-milieux-naturels-en-suisse.html, abgerufen am 18. August 2024
[5] https://www.bafu.admin.ch/bafu/fr/home/themes/sol/en-bref.html#-808791667, abgerufen am 18. August 2024
[6] https://www.bfs.admin.ch/bfs/fr/home/statistiques/espace-environnement/indicateurs-environnement/tous-les-indicateurs/reactions-de-la-societe/zones-protegees.html#:~:text=Zones%20strictement%20protégées%3A%20elles%20comprennent,%2C%20prairies%20et%20pâturages%20secs), abgerufen am 18. August 2024
[9] Rutishauseret. al, 2023: Schätzungen des Flächenbedarfs für die Erhaltung der Schweizer Biodiversität. Analyse der bestehenden qualitativ hochwertigen Flächen und des Bedarfs an qualitativ hochwertigen Flächen basierend auf den Artendaten der nationalen Zentren. InfoSpecies, Neuchâtel, https://www.infospecies.ch/fr/assets/content/documents/infospecies-2023-surfaces-maintien-biodiversite-suisse.pdf
[10] https://www.initiative-biodiversite.ch/initiative/, abgerufen am 18. August 2024
[11] Interpellation V. Python vom 20.07.2022, https://www.parlament.ch/fr/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20223947
[12] https://www.parlament.ch/fr/biografie/magdalena-martullo-blocher/4167, abgerufen am 30. Mai 2024
[13] https://www.sbv-usp.ch/fr/voici-ce-que-font-les-paysans-pour-promouvoir-la-biodiversite, angesehen am 5. August 2024
[14] https://www.blw.admin.ch/blw/fr/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html, abgerufen am 7. August 2024
[15] Agridea, Förderung der Biodiversität im landwirtschaftlichen Betrieb, Themenblatt 2024, https://agridea.abacuscity.ch/fr/A~1443~1/3~410420~Shop/Publications/Production-végétale-Environnement/Aspects-légaux-et-administratifs/Promotion-de-la-biodiversité-dans-l%27exploitation-agricole/Allemand/Print-papier
[16] https://www.rts.ch/info/suisse/2024/article/le-nombre-d-exploitations-agricoles-baisse-mais-la-part-de-bio-augmente-en-suisse-28501998.html, abgerufen am 21 . August 2024
[17] https://www.agrarbericht.ch/fr/politique/paiements-directs/contributions-a-la-biodiversite, abgerufen am 7. August 2024.
[18] Siehe die Tabelle "Beitrag zur Biodiversität 2022: Vernetzung: https: //www.agrarbericht.ch/fr/politique/paiements-directs/contributions-a-la-biodiversite
[19] Siehe dazu die Parlamentsdebatten bei der Revision der Agrarpolitik im Jahr 2022: https: //www.parlament.ch/fr/ratsbetrieb/suche-amtliches-bulletin#k=PdAffairId:20200022
[20] https://initiativebiodiversite-non.ch/arguments.html, abgerufen am 19. August 2023
[21] https://www.udc.ch/actualites/publications/exposes/un-non-clair-a-linitiative-extreme-de-la-gauche-sur-la-biodiversite-est-absolument-necessaire/, abgerufen am 19. August 2024
[22] https://www.bafu.admin.ch/bafu/fr/home/themes/sol/en-bref.html#-808791667, abgerufen am 18. August 2024
[23] https://ecorating.ch/fr/find?type=abstimmungsverhalten-eidgenossisch&group=51-legislatur-2019-2023-nationalrat&commission=1, abgerufen am 10. August 2024