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Neue Rote Liste für Bienen - ein Warnsignal

Solène Schaub
Von
Solène Schaub
am
20/8/24
In Kürze

Nach 30 Jahren ist dieses Jahr die aktualisierte Ausgabe der Roten Liste der Bienen erschienen. Sie zeigt den Gefährdungsstatus der Bienenarten in der Schweiz. Die Ergebnisse sind ernüchternd und fordern zum Handeln auf: Fast die Hälfte der Bienenarten in der Schweiz steht auf der Roten Liste und 10 Prozent sind bereits verschwunden. Die Ursachen sind bekannt: Mangel an Nahrung und Nistmöglichkeiten, Einsatz von Pestiziden, Konkurrenz durch Honigbienen und Klimaerwärmung. Die Politik muss die Warnzeichen der Roten Liste erkennen und so schnell wie möglich geeignete Maßnahmen zur Förderung von Wildbienen einführen.

Die neue Rote Liste der Bienen [1] für die Schweiz wurde kürzlich mit einem Stand im Jahr 2022 veröffentlicht. Sie ersetzt die veraltete Version von 1994 und gibt einen aktuellen Überblick über den Gefährdungszustand der Bienen in der Schweiz. Honigbienen wurden in dieser Liste nicht bewertet, da die wenigen freilebenden Honigbienenkolonien hauptsächlich von den aus der Imkerei stammenden Völkern und nicht von Umweltfaktoren beeinflusst werden.

Zunächst einmal muss klargestellt werden, dass die neue Rote Liste nicht mit der von 1994 verglichen werden kann. Damals wurden andere Methoden angewandt und es gab viel weniger Daten. Daher können wir die damalige Situation nicht mit der heutigen vergleichen. Die neue Liste sollte vielmehr als ein vollständigeres Bild des Zustands der Wildbienen in der Schweiz betrachtet werden.

Was ist eine Rote Liste?

Rote Listen beurteilen die Aussterbewahrscheinlichkeit von Organismen und die Gefährdung von Lebensräumen. Somit dienen sie als eine Art Warnsystem für den Erhalt der Biodiversität. Solche Listen beziehen sich jeweils auf ein bestimmtes geografisches Gebiet, deswegen gibt es verschiedene Listen von verschiedenen Ländern oder Regionen. In der Schweiz existieren Rote Listen für 28 Organismengruppen[2]. Somit sind einige, aber längst nicht alle Organismengruppen durch eine Beurteilung abgedeckt. Die Beurteilung der Gefährdung einer Art basiert dabei auf Kriterien, die von der International Union for Conservation of Nature (IUCN) definiert wurden. Jede untersuchte Art wird einem der folgenden Kategorien (gemäss IUCN) zugeordnet:

RE* - regionally extinct / regional (zB. in der Schweiz) ausgestorben

↪Lo_Cf_200D↩CR* - critically endangered / kritisch gefährdet

EN* - endangered / gefährdet

VU* - vulnerable / verletzlich

NT - near threatened / nahezu bedroht

LC - least concern / nicht gefährdet

Bei den mit einem * gekennzeichneten Kategorien spricht man von Arten, die "auf der roten Liste" stehen.

Von der Roten Liste zum Naturschutz

In der Schweiz haben die Roten Listen eine direkte Bedeutung für die Konkretisierung des Naturschutzes. Die Verordnung über den Natur- und Heimatschutz (NHV) legt fest [3], dass Lebensräume mit seltenen und gefährdeten Pflanzen- und Tierarten (gemäss den Roten Listen des BAFU) geschützt werden müssen. Die Umsetzung liegt in der Verantwortung der Kantone.

Die Werte der Roten Liste sind bei Bienen hoch

In Abbildung 2 sind die Ergebnisse der Rote Liste zusammengefasst. Erschreckend ist: fast die Hälfte (279 Arten, ~46%) aller Bienenarten der Schweiz sind gefährdet und folglich als Rote Liste-Arten kategorisiert (siehe rot gefärbte Anteile). Besonders betroffen sind die folgenden Artengruppen:

  • Blütenspezialisten: Arten, die auf Blüten bestimmter Pflanzenfamilien oder –gattungen angewiesen sind, sind gefährdeter als solche, die ein breites Spektrum an Pflanzen für ihre Nahrung verwenden.
  • Bodennister: Die meisten Bienen nisten in selbst gegrabenen Gängen im Boden. Andere in Hohlräumen ausserhalb des Bodens (z.B. Grashalme, Totholz, leere Schneckenhäuser). Die Bodennister sind gefährdeter als die oberirdisch nistenden Arten. Dies liegt wohl daran, dass viele spezifische Ansprüche an das Bodensubstrat, die Vegetationsbedeckung, den Verdichtungsgrad oder die Bodenneigung haben, während oberirdisch nistende Arten weniger wählerisch sind.
  • Arten, die im Tiefland oder in mittleren Höhenlagen vorkommen. Diese Arten sind, bedingt durch den anthropogenen Druck auf die Lebewesen deutlich stärker gefährdet.
  • Sommerflieger: Arten, die in den Sommermonaten fliegen, sind gefährdeter als solche, die im Frühling aktiv sind. Grund dafür ist der Mangel an Blüten im Sommer, insbesondere in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten.
Abbildung 2: Ergebnisse der neuen Roten Liste der Bienen. Jeweils angegeben sind absolute Artzahlen und ihre gerundeten Prozente. Insgesamt untersucht wurden 615 Arten. Eigene Darstellung mit Daten von BAFU (2024).

59 ehemals in der Schweiz lebende Bienenarten sind heute ausgestorben. Dies betrifft ganze 10% der heimischen Bienenarten und ist alarmierend. Verglichen mit anderen Insektengruppen ist dies ein extrem hoher Anteil (siehe Abbildung 3). Bei der Interpretation der Grafik muss jedoch bedacht werden, dass nicht alle Rote Listen gleich aktuell sind wie diejenige der Bienen. Die älteste Liste ist aus dem Jahr 2007 (Heuschrecken), die neuste aus dem Jahr 2021 (Singzikaden). Bemerkenswert ist jedoch, dass sich der Anteil der Roten Liste Arten (Summe der roten Flächen) bei allen Insektengruppen in einem ähnlichen Bereich bewegt. Dieser liegt zwischen 30 und 50%, mit Ausnahme der Singzikaden mit 80%.

Abbildung 3: Ergebnisse der bestehenden Roten Listen von Insektengruppen. Bienen = Bienen, Heuschrecken = Heuschrecken, Libellen = Libellen, Holzkäfer = holzbewohnende Käfer, EPT = Eintagsfliegen, Steinfliegen und Köcherfliegen, Singzikaden = Zikaden, Tagfalter & Widderchen= Tagfalter & Zyphen. Eigene Darstellung mit Daten des BAFU.

Hauptursachen der Bedrohung laut der Roten Liste

Blütenknappheit

  • Blütenmenge: Die Blütenmenge ist von entscheidender Bedeutung. Die Versorgung eines einzigen Nachkommens benötigt den Pollen und Nektar von Duzenden bis mehreren Hunderten Blüten.
  • Blütenvielfalt: Etwa die Hälfte aller Wildbienen sind Spezialisten, d. h. sie benötigen eine ganz bestimmte Pflanzengattung oder -familie für ihre Ernährung. Der Mangel an floraler Vielfalt ist einer der Gründe, warum viele Bienenarten bedroht sind.
  • Blütenkontinuität: Die Blühzeitpunkte müssen mit den Flugzeiten der Bienen übereinstimmen, nur dann sind sie für die Bienen von Nutzen. Ein passendes Blütenangebot muss über die gesamte Aktivitätszeit der Bienen sichergestellt werden.

Fehlende Nistplätze.

Zum Nisten brauchen Wildbienen eine Vielzahlt an Kleinstrukturen, wie zum Beispiel Totholz, stehendes Altgras, offene Bodenstellen, Sand oder leere Schneckenhäuser. Jede Art hat spezifische Ansprüche. Momentan mangelt es an vielfältigen Nistmöglichkeiten. Die Gründe dafür sind vielfältig, beispielsweise: versiegelter Boden, eintönig bewirtschaftete Flächen, «saubere» Landschaft, wo Totholz oder stehengebliebenes Altgras kein Platz bekommt.

Fehlende Vernetzung

Die Distanzen zwischen den Nist- und Nahrungsplätzen dürfen nicht zu gross sein. Richtwert: Max. 100m für kleine und max. 300m für grosse Arten. Diese Vernetzung der Lebensräume ist vor allem in Ackerbaugebieten des Mittellandes häufig nicht gewährleistet.

Pestizide

  • Herbizide verringern das Blumenangebot
  • Insektizide töten oder schädigen die Bienen direkt oder indirekt. Neonicotinoide zum Beispiel sind besonders gefährlich, da sie das Nervensystem schädigen und sich in den Pflanzen anreichern.
  • Die schädigende Wirkung ist höher, wenn die Insekten zusätzlich bereits durch andere Faktoren belastet werden, z.B. durch Nahrungsknappheit oder Krankheitsbefall.
  • Wildbienen sind stärker von Pestiziden gefährdet als Honigbienen, da sie solitär leben. Die brutaktiven Weibchen kommen selber direkt mit den Mittel in Kontakt und übertragen die Gifte auf die Larven. Bei Honigbienen hingegen sind eher die nicht-reproduzierenden Arbeiterinnen betroffen. Diese sterben, bevor sie etwas an die Larven abgeben.

Honigbienen

  • Konkurrenz: Vor allem in landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen tiefer und mittlerer Lagen ist der Konkurrenzdruck durch Honigbienen gross. Dies weil das Blütenangebot gering und gleichzeitig die Honigbienendichte hoch sind.
  • Krankheitserreger: Honigbienen sind bedeutende Überträger von Krankheiten. Sie lassen Viren oder Pilzsporen auf Blüten zurück, wo sich Wildbienen infizieren können. Die Stärke dieses Effekts ist noch wenig erforscht.

Klimaerhitzung

Der Klimawandel hat viele Auswirkungen, die in ihrer gesamten Komplexität noch nicht verstanden sind. Grundsätzlich kann von negativen Auswirkungen auf kälteangepasste Arten, wie zum Beispiel Hummeln, ausgegangen werden. Zudem erwartet die Wissenschaft folgende Effekte, die teilweise bereits beobachtet werden:

  • Höhere Sterblichkeit im Winter aufgrund der höheren Temperaturen.
  • Wärmeliebende Arten können sich in höhere Lagen ausbreiten und da kältetolerante Arten verdrängen.
  • Krankheitserreger können sich schneller ausbreiten.
  • Blühzeitpunkte und Flugzeiten können sich zeitlich verschieben. Dies ist besonders für Spezialisten gefährlich.

Schlussfolgerung

  • Die Ergebnisse der Roten Liste zeigen auf: Viele Wildbienen sind gefährdet oder gar schon ausgestorben.
  • Da Wildbienen für unser Leben zentral sind, beispielsweise durch ihre Bestäubungsleistung (siehe Artikel «Bestäuberinsekten – gefährdete kleine Helden»), ist es von entscheidender Bedeutung, die Ergebnisse der Roten Liste ernst zu nehmen und entsprechende Massnahmen einzuleiten.
  • Änderungen in unserem Landwirtschafts- und Ernährungssystem sind nötig, denn die Intensivierung der Landwirtschaft (besonders auch im Berggebiet) und damit der Verlust an Lebensräumen stellt eine grosse Bedrohung für Bienen dar.
  • Bei der Zulassung von Pestiziden muss die Gefährdung der Wildbienen berücksichtigt werden.
  • Pestizidfreie landwirtschaftliche Produktion soll gefördert werden.
  • Der Detailhandel soll seinen Teil der Verantwortung übernehmen und pestizidfreie Produkte nicht überteuert anbieten.
  • Um politische Hebel zu betätigen, hilft beispielsweise die Unterstützung der Biodiversitätsinitiative, die im September zur Abstimmung kommt.

[Originalquelle: Ohnegift.ch].

Unser Dank gilt dem Team von ohnegift, das uns freundlicherweise die Erlaubnis erteilt hat, ihren Artikel zu publizieren.

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