Es ist bekannt, dass Pestizide aufgrund ihrer Verbreitung aus der Luft auch auf benachbarte Felder gelangen können. Eine neue Studie zeigt, dass Pestizidrückstände in über 2300 Metern Höhe, weit entfernt vom Ort des Ausbringens, vorhanden sind. In der Studie, die im Vinschgau in Südtirol durchgeführt wurde, wurden Rückstände von 27 verschiedenen Insektiziden, Herbiziden und Fungiziden nachgewiesen. Die Pestizide stammten aus intensiven Baumkulturen. Der Vinschgau ist eines der wichtigsten europäischen Anbaugebiete für Äpfel. Leider gibt es in der Schweiz keine vergleichbaren Studien. Insbesondere ist nicht bekannt, inwieweit relativ natürliche Ökosysteme, die weit entfernt von landwirtschaftlichen Flächen liegen, und Schutzgebiete mit Pestiziden belastet sind. Wir fordern Studien über die Verbreitung von Pestiziden über große Entfernungen auch in der Schweiz. Ziel muss es sein, eine systematische Überwachung (Monitoring) dieses Problems einzurichten.
Während des Ausbringens können Pestizidpartikel durch Luft- und Windbewegungen außerhalb des behandelten Bereichs verteilt werden. Die Geschwindigkeit des Streufahrzeugs, die Höhe des Sprühnebels, die Temperatur und die Windstärke sind Beispiele für Faktoren, die die Verteilung dieser Partikel beeinflussen. Darüber hinaus sind viele Metaboliten (Abbauprodukte) von Pestiziden schwer abbaubar. Sie bleiben daher auf und im Boden bestehen, können sich anreichern und können sich noch lange nach dem Ausbringen weiter verteilen.
Der Vinschgau zieht viele Touristen an und ist berühmt für seinen Apfelanbau. Ein beträchtlicher Teil der Apfelproduktion - jeder zehnte Apfel, der in Europa verzehrt wird - stammt aus dieser Region. Eine kürzlich durchgeführte Studie ergab, dass im Vinschgau insgesamt 27 verschiedene Insektizide, Herbizide und Fungizide nachgewiesen wurden [1], was deutlich zeigt, dass selbst die entlegensten (alpinen) Schutzgebiete nicht vor Umweltverschmutzung gefeit sind.
Die Studie unterstreicht einmal mehr, dass wir dringend aufhören müssen, unsere Umwelt mit giftigen Chemikalien zu belasten. Der Einsatz von Pestiziden muss drastisch reduziert werden. Landwirte und Landwirtinnen brauchen Unterstützung, um auf nicht-chemische Alternativen umzusteigen. Es ist unerlässlich, eine deutliche Reduzierung des Pestizideinsatzes in ganz Europa zu fördern, gefährliche Substanzen zu verbieten und empfindliche Gebiete besser zu schützen. Doch eine EU-Verordnung, die in diese Richtung ging (der Einsatz von Pestiziden sollte in der EU bis 2030 halbiert werden), wurde gerade begraben.[2].
Auch in der Schweiz geht der Trend nicht dahin, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren. Der Bund möchte mit der Totalrevision der Pflanzenschutzmittelverordnung (PSMV) so schnell wie möglich mehr Pestizide in der Schweiz zulassen.
Bereits 2019 bewies eine in Deutschland durchgeführte Studie, dass Pestizide viel weiter "fliegen" können als bisher angenommen.[3] Der Bundesrat ging nicht auf die Forderung ein, eine vergleichbare Studie oder ein Monitoring der Pestizidausbreitung in der Schweiz aus der Luft durchzuführen (Interpellation von SP-Nationalrätin Martina Munz). Daraufhin untersuchte Greenpeace im selben Jahr (2019) die Konzentration von Pestiziden in der Luft auf biologisch bewirtschafteten Flächen in der Schweiz:[4] Insgesamt wurden über 20 verschiedene Pestizide nachgewiesen, die auf diesen Bioflächen nichts zu suchen hatten. Darunter befand sich auch Bromopropylat, ein Wirkstoff, der seit 2010 nicht mehr zugelassen ist. Außerdem wurden zwei Metaboliten identifiziert: AMPA, ein Abbauprodukt von Glyphosat, und 4,4′-DDE, ein Abbauprodukt von DDT, das schon lange nicht mehr zugelassen ist. Obwohl DDT schon lange nicht mehr verwendet wird, ist 4,4′-DDE aufgrund seiner hohen Persistenz immer noch vorhanden und in der Umwelt weit verbreitet.
Die im Vinschgau nachgewiesenen Konzentrationen von Pestiziden und ihren Metaboliten waren gering. Dennoch wurden die Auswirkungen einer chronischen Kontamination mit Pestizidmischungen in niedrigen Konzentrationen auf die Umwelt bisher kaum untersucht. Zudem ist noch wenig über mögliche Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Stoffen bekannt. Bei der Bewertung von Umweltrisiken im Rahmen des europäischen Zulassungsverfahrens (und auch in der Schweiz) werden Mischungen (und ihr sogenannter Cocktail-Effekt) nicht analysiert. Vielmehr werden die Stoffe nur einzeln analysiert und bewertet.
Die Situation im Vinschgau ist insofern besonders, als in dieser Region über 1700 Betriebe ausschließlich Äpfel in Monokulturen anbauen. Der Einsatz synthetischer Pestizide ist bei dieser Art des Anbaus relativ hoch. Außerdem werden die Pestizide durch Sprühen ausgebracht. Mit der Folge, dass sich die Pestizide vor allem bei Wind über die Luft verteilen, möglicherweise über große Entfernungen.
Auch in der Schweiz gibt es Regionen, in denen großflächig Monokulturen angebaut und Pestizide sehr intensiv eingesetzt werden (z. B. Gemüseanbau im Berner Seeland, Obstbau in der Bodenseeregion). Auch in diesen Regionen können erhebliche Mengen an Pestiziden kilometerweit verweht werden und so unerwünschte Auswirkungen auf Insekten, Amphibien, Vögel, Kinder auf Spielplätzen, Sportler und Menschen, die sich im Freien aufhalten, haben. Es ist anzunehmen, dass auch bei uns weitaus mehr Gebiete von diesem Phänomen betroffen sind als nur die Umgebung von landwirtschaftlichen Nutzflächen. Bisher wurden in der Schweiz jedoch noch keine groß angelegten Untersuchungen zu Pestizidrückständen außerhalb von landwirtschaftlichen Nutzflächen durchgeführt.
Im europäischen Vergleich hat die Schweiz weniger Biodiversitätsflächen (EU: 26,4%, Schweiz: 10,8%).[5] Gleichzeitig ist der Pestizideinsatz in der Schweiz viel höher (Schweiz: 4.9 kg/ha, EU: 1.7 kg/ha). Mit anderen Worten: Die Schweiz hat nicht nur weniger Biodiversitätsflächen als die meisten EU-Länder, sondern setzt diese auch einer mehrfach höheren Pestizidbelastung aus.
Die vollständige Studie über den Vinschgau können Sie hier lesen (auf Englisch).
[Originalquelle: Ohnegift.ch].
Unser Dank gilt dem Team von ohnegift, das uns freundlicherweise die Erlaubnis erteilt hat, ihren Artikel zu publizieren.