Trotz des Aktionsplans, der die Risiken durch Pestizide bis 2027 halbieren soll, bleiben unsere Bäche stark belastet. Seit Jahren bedrohen zudem Abbauprodukte – oft ebenso giftig – direkt das Grundwasser und damit unser Trinkwasser. Trotzdem schlägt das Parlament einen gefährlichen Kurs ein: Mit der Initiative Bregy, der Motion von Leo Müller und der Strategie für nachhaltigen Pflanzenschutz bis 2035 werden weiterhin Maßnahmen bevorzugt, die Pestizide stützen, statt Alternativen zu fördern. Im Dilemma zwischen landwirtschaftlicher Produktivität und öffentlicher Gesundheit hat das Parlament bislang klar seine Priorität gesetzt.
Der Aktionsplan Pflanzenschutzmittel, der im September 2017 vom Bundesrat verabschiedet wurde, hat zum Ziel, die Risiken im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pestiziden bis 2027 um 50 % zu reduzieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Schutz des Grundwassers, der Oberflächengewässer und der naturnahen Lebensräume.
Der Plan umfasst 51 Massnahmen in verschiedenen Bereichen: Emissionsminderung, Anwenderschutz, Forschung, Ausbildung und Verbesserung der Transparenz.
Der Zwischenbericht von 2024 zieht eine überwiegend positive Bilanz und zeigt eine Tendenz zur Risikominderung beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Doch Vorsicht: Ein genauerer Blick auf drei zentrale Ziele des Plans – jene, die direkt die aquatische Biodiversität und die menschliche Gesundheit betreffen – zeigt, dass noch erheblicher Handlungsbedarf besteht
Analysen zeigen, dass viele Schweizer Gewässer und Bäche auch nach mehreren Jahren Umsetzung des Aktionsplans weiterhin stark mit Pestiziden belastet sind. In 22 von 36 untersuchten Standorten (61 %) werden die auf Ökotoxikologie basierenden Grenzwerte nach wie vor überschritten. Besonders kritisch ist die Situation in kleinen und mittleren Bächen durch landwirtschaftliche und städtische Gebiete: Hier überschreiten die gemessenen Konzentrationen in über drei Viertel der Standorte die zulässigen Werte.
Zwischen 2019 und 2022 hat sich die Anzahl der Messstellen, an denen alle Grenzwerte eingehalten werden, praktisch nicht verändert, was die langsame Verbesserung unterstreicht. Angesichts dieser Befunde hält der Bundesrat das Ziel von 2027 – die Hälfte der belasteten Gewässer zu entlasten – ohne rasche Entwicklung von Alternativen zu Pestiziden für unrealistisch
Ein großes Risiko geht von Pyrethroiden aus, synthetischen Insektiziden, die dem Pyrethrum nachempfunden sind, aber viel stärker und langlebiger sind. Sie sind für Insekten neurotoxisch und für Fische, Schalentiere und Wasserinsekten extrem giftig, selbst in sehr geringen Dosen: Schon wenige Pikogramm pro Liter können ihnen schaden - das entspricht 12,5 Stück Würfelzucker, die im Wasser des gesamten Bodensees aufgelöst sind! 2,3 Sie stören auch die Fortpflanzung und die Nahrungskette und beeinträchtigen auch Säugetiere und Fische, indem sie die Sexualhormone stören. In der Schweiz überschreiten Cypermethrin, Deltamethrin und Lambda-Cyhalothrin häufig die Umweltqualitätskriterien, was Pyrethroide zu einer der größten Bedrohungen für die aquatische Biodiversität macht.
Um die tatsächlichen Auswirkungen besser zu verstehen, werden aquatische Wirbellose als natürliche Zeugen der Gewässerqualität herangezogen. Seit 2020 erfassen rund die Hälfte der Messstellen Daten zu Steinfliegenlarven und Bachflohkrebsen – empfindlichen Arten, die frühzeitig auf Veränderungen in ihrem Lebensraum reagieren. Die Ergebnisse sind besorgniserregend: An fast allen Standorten wird der Zustand der Schlüsselarten als mittelmäßig bis schlecht bewertet. Diese Beobachtungen bestätigen, dass die meisten Gewässer stark mit Pestiziden belastet sind – auch wenn andere Faktoren, wie die Verbauung und Begradigung der Flüsse, die Situation zusätzlich verschärfen. Zwischen 2020 und 2022 wurde keine deutliche Verbesserung festgestellt. Auch wenn die Datenreihe noch zu kurz für eine endgültige Bewertung ist, zeigt der aktuelle Trend eindeutig in eine besorgniserregende Richtung.
Heute sind fast die Hälfte der Grundwasserschutzzonen in intensiv genutzten Ackergebieten stark mit Pflanzenschutzmitteln belastet. Metabolite von Pestiziden – insbesondere des Fungizids Chlorothalonil und der Herbizide Chloridazon, Metolachlor und Dimethachlor – sind weit verbreitet im Schweizer Grundwasser nachweisbar. In manchen landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen überschreiten sie häufig den Grenzwert von 0,1 μg/l, was auf eine weite und langanhaltende Kontamination der Wasserressourcen hinweist.
Ein Metabolit entsteht, wenn ein Pflanzenschutzmittel in der Umwelt oder in Organismen abgebaut oder umgewandelt wird. Einige dieser Substanzen können genauso schädlich sein wie das Ausgangsmittel und lange bestehen bleiben – wie beim Fungizid Chlorothalonil, das seit 2020 verboten ist, dessen Metabolite aber weiterhin Böden und Grundwasser belasten. 4
Als Abbauprodukt von PFAS-Pestiziden ist Trifluoressigsäure (TFA) die Hauptkontaminationsquelle in Gebieten, in denen intensive Landwirtschaft betrieben wird. PFAS sind sehr stabile Chemikalien, die oft als „ewige Chemikalien” bezeichnet werden, da sie in der Umwelt kaum abgebaut werden. 5
Trifluoressigsäure (TFA) ist ein allgegenwärtiger und langlebiger Schadstoff, der ein wachsendes Risiko für Mensch und Umwelt darstellt. Sie reichert sich irreversibel in Wasser, Böden und Lebensmitteln an und Studien zeigen, dass sie die Schwangerschaft und die Entwicklung von Kindern beeinträchtigen kann, und somit eine große Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellt.6
Diese Gefahr wird im Rahmen der Analysen des Aktionsplans Pflanzenschutzmittel noch nicht berücksichtigt, dürfte aber bald in den Fokus rücken. In ganz Europa nachgewiesen und von allen teilnehmenden Mitgliedstaaten bei öffentlichen Konsultationen als reproduktionstoxisch eingestuft, soll TFA in den kommenden Monaten auf europäischer Ebene als giftig für die Fortpflanzung klassifiziert werden. Nach der Entscheidung der ECHA wird TFA automatisch auch in der Schweiz als relevanter Metabolit anerkannt, wodurch die Ziele des Aktionsplans für Pflanzenschutzmittel weitgehend verfehlt würden. 7
Einige Maßnahmen, wie die Verringerung des Abflusses besonders gefährlicher Substanzen oder die Sanierung der Bereiche, in denen Pflanzenschutzmittel gespritzt, gefüllt und gereinigt werden, zielen darauf ab, die Menge dieser Stoffe in den Gewässern zu begrenzen.
Eines der Zwischenziele des Aktionsplans Pflanzenschutzmittel ist es, die Menge an Pestiziden, die das Wasser kontaminieren können, um ein Viertel zu reduzieren. Die Überprüfung dieses Ziels ist jedoch nur für den Rhein möglich, da für die Einzugsgebiete der anderen Standorte keine ausreichenden Daten zu den eingesetzten Pestizidmengen vorliegen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben daher an der Überwachungsstation in Weil am Rhein sieben häufig verwendete Herbizide (Chlortoluron, Dimethamid, Isoproturon, Mecoprop, Metolachlor, Terbuthylazin) gezielt verfolgt. Andere Pestizide sind im Rhein zu stark verdünnt, um regelmäßig gemessen zu werden. Ergebnis: Trotz der getroffenen Maßnahmen wurden keine deutlichen Rückgänge der Konzentrationen festgestellt..8,9
Trotz der Risiken für Gesundheit und Umwelt unterstützen das Parlament und der Bundesrat Initiativen und Motionen zugunsten von Pestiziden und verpassen damit die Chance, eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern..
Die Initiative Bregy (22.441) will die Zulassung von Pestiziden vereinfachen, die bereits in sechs EU-Ländern erlaubt sind, auf Kosten einer nationalen Kontrolle. Dadurch könnte die Schweiz zum Markt für die schädlichsten Substanzen Europas werden.10
Die Motion von Leo Müller (24.4589) schlägt vor, die Bedingungen für die Überprüfung von Pestiziden zu verschärfen: Heute erfolgt eine Überprüfung, wenn 10 % der Stationen den Grenzwert in zwei von fünf Jahren überschreiten. Die Motion von Leo Müller schlägt vor, den Schwellenwert zu verdoppeln und den Zeitraum auf vier von fünf Jahren zu verlängern.11
Hinzu kommt die Entwicklung der "Strategie für einen nachhaltigen Pflanzenschutz bis 2035" durch das BLW. Der derzeit in der Konsultation befindliche Entwurf der Strategie, der den Pflanzenschutz stärken will, konzentriert sich fast ausschließlich auf Technologien und die Vereinfachung der Pestizidzulassung, während strenge Zulassungsverfahren oder schadstofffreie Methoden vernachlässigt werden. Entscheidende und vielversprechende Maßnahmen wie die Agrarökologie fehlen im Text völlig, was den mangelnden Ehrgeiz der Strategie unterstreicht. Die endgültige Fassung wird für Ende 2025 erwartet, nachdem die Konsultationen und Rückmeldungen der verschiedenen Interessengruppen und NGOs berücksichtigt wurden. Hoffentlich werden die Stimmen der Gesundheits- und Umweltschützer gehört und die endgültige Strategie wird weniger schlimm sein als der aktuelle Entwurf, der Abhängigkeit von Pestiziden verstärkt und die Gesundheit und Ökosysteme gefährdet, anstatt eine nachhaltige Landwirtschaft zu sichern.
Diese vom Bundesrat unterstützten Massnahmen zeigen deutlich, dass wirtschaftliche Interessen über den Schutz von Gesundheit und Umwelt gestellt werden – dabei könnte die Schweiz längst den Weg zu einer sichereren, nachhaltigeren und zukunftsorientierten Landwirtschaft einschlagen.
[1] Aktionsplan Pflanzenschutzmittel und Bundesgesetz über die Reduktion von Risiken beim Einsatz von Pestiziden. Zwischenbericht zur Umsetzung 2017-2022. https://www.blw.admin.ch/fr/plan-daction-produits-phytosanitaires#Documents-et-compte-rendu
[2] Rösch et al.: Geringste Konzentrationen - Grösste Wirkung; Nachweis von Pyrethroid- und Organophosphatinsektiziden in Schweizer Bächen im Picogramm-pro-Liter-Bereich; Aqua und Gas, Nr. 11/2019. https://www.eawag.ch/fr/portail/dinfo/actualites/news-archives/detail-de-larchive/les-pyrethrinoides-en-ligne-de-mire/
[3] https://www.permis-pph.admin.ch/fr/obtenir-un-permis
[5] TFA im Grundwasser, auf der Website des BAFU: https: //www.bafu.admin.ch/bafu/fr/home/themes/eaux/eaux-souterraines/qualite-des-eaux-souterraines/tfa-im-grundwasser.html#984684422
[6] Environ. Sci. Technol. 2024, 58, 45, 19925-19935 https://pubs.acs.org/doi/pdf/10.1021/acs.est.4c06189?ref=article_openPDF
[8] Aqua & Gas: Schneeweiss et al.: Ökotoxikologische Wirkungen Schweiz-relevanter Pflanzenschutzmittel auf Fische. Aqua und Gas, Nr. 11/2019. https://www. eawag.ch/fr/portail/dinfo/actualites/news-archives/detail-de-larchive/les-pyrethrinoides-en-ligne-de-mire/
[9] Doppler, T.; Dietzel, A.; Stamm, C. (2024) Pestizide in Bächen und Flüssen. Wirkung des Aktionsplans Pflanzenschutzmittel, Aqua & Gas, 104(7+8), 63-69. https://www.eawag.ch/fr/portail/dinfo/actualites/detail/pesticides-dans-les-eaux-il-y-a-encore-du-travail-a-faire/
[10] Parlamentarische Initiative Philippe Matthias Bregy: Modernen Pflanzenschutz in der Schweiz ermöglichen https://www.parlament.ch/fr/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20220441
[11] Motion von Leo Müller: Realistisches Monitoring für den Gewässerschutz https://www.parlament.ch/fr/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20244589