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Anstieg des Verkaufs von synthetischen Pestiziden bis 2022

Sébastien Tronchet
Von
Sébastien Tronchet
am
15/5/24
In Kürze

Ende 2023 veröffentlichte das BLW auf seiner Website die Statistiken über den Verkauf von Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz für das Jahr 2022. Obwohl sich das Verkaufsvolumen im Vergleich zum Vorjahr nur geringfügig verändert hat (Rückgang um 2.5%), fällt auf, dass die in Bio zugelassenen Wirkstoffe, also die Substanzen, die für den Menschen und die Biodiversität am wenigsten schädlich sind, um mehr als 10% zurückgegangen sind, während die synthetischen Pestizide um fast 8% zugenommen haben. Glyphosat erobert seinen ersten Platz in der Rangliste der meistverkauften synthetischen Pestizide zurück, vor Folpet und Captan, zwei Fungiziden, die im Verdacht stehen, Krebs zu verursachen.

Einleitung

Ende 2023 hat das BLW auf seiner Website die Verkaufsmengen von Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz für das Jahr 2022 veröffentlicht. Diese allgemeinen Zahlen umfassen den professionellen und den Amateurgebrauch und ihre verschiedenen Verwendungszwecke: Schutz von landwirtschaftlichen Kulturen sowie Landschaftspflege wie zB. Spielplätze, Parks, Gleise und Gärten.

Diese Zahlen sind zwar nützlich, um die Entwicklung der Verkaufszahlen einzelner Stoffe oder Stoffgruppen im Laufe der Zeit zu ermitteln, jedoch geben sie kaum Aufschluss über die Entwicklung der Risiken für die Umwelt, den Menschen oder die Biodiversität. Diese Risiken werden in erster Linie durch die Toxizität der einzelnen Pestizide bestimmt, die laut einer aktuellen Studie im Laufe der Zeit tendenziell zunimmt. Es macht beispielsweise wenig Sinn, Tonnen von Acetamiprid, einem hochpotenten neonicotinoiden Insektizid, das - schon in sehr geringen Dosen - als fortpflanzungsschädigend eingestuft ist und im Verdacht steht, die neuronale Entwicklung zu beeinträchtigen, mit Tonnen von Caolin zu vergleichen, einer Tonerde, die als Insektenabwehrmittel dient und keinerlei Auswirkungen auf Mensch und Umwelt hat.

Um diese gravierenden Mängel zu beheben, hat der Bundesrat im Rahmen des Bundesgesetzes über die Reduktion der Risiken beim Einsatz von Pestiziden bis 2021 genauere Indikatoren entwickelt, die auf dem Risikopotenzial der verschiedenen Substanzen, den behandelten Flächen und einem Expositionsfaktor basieren, um die Entwicklung des Pestizidrisikos für Grund- und Oberflächenwasser sowie naturnahe Lebensräume zu berechnen. Aber warum hat man sich auf Wasser und Biodiversität beschränkt und nicht auch einen solchen Indikator für die menschliche Gesundheit entwickelt? Hat die Schweizer Bevölkerung nicht endlich das Recht zu wissen, welche Risiken sie durch den Einsatz von Pestiziden eingeht?

Entwicklung des Verkaufsvolumens von Pestiziden

Zwischen 2021 und 2022

2200 Tonnen Pflanzenschutzmittel werden 2022 in der Schweiz verkauft, das sind 57 Tonnen oder 2,5 % weniger als 2021. Dieser Rückgang gleicht jedoch bei weitem nicht den starken Anstieg zwischen 2020 und 2021 (+ 329 Tonnen) aus.

  • Rückgang um 11% (-138 Tonnen) bei den für den ökologischen Landbau zugelassenen Wirkstoffen (hauptsächlich Schwefel und Kupfer).
  • Anstieg um 8% (+80 Tonnen) bei den für die konventionelle Landwirtschaft zugelassenen Wirkstoffen (hauptsächlich Glyphosat und Metiram, Captan und Folpet).
  • Rückgang um 12,5% (27 Tonnen) bei Stoffen mit besonderem Risikopotenzial, d.h. mit besonders unerwünschten Eigenschaften für die menschliche Gesundheit und die Umwelt (hauptsächlich Kupfer und Tebuconazol, ein Fungizid, das seit vielen Jahren als endokrinschädigend und reprotoxisch bekannt ist).
  • Anstieg um 9% (+38 Tonnen) bei den Herbiziden (hauptsächlich Glyphosat (+73%) aufgrund von Lagereffekten laut BLW).

Zwischen 2008 und 2022

Über den gesamten Messzeitraum (2008 bis 2022) sank der Verkauf von Pflanzenschutzmitteln um nur 34 Tonnen oder 1,5%.

  • Anstieg der für den ökologischen Landbau zugelassenen Wirkstoffe um 85%.
  • Rückgang der in der konventionellen Landwirtschaft zugelassenen Wirkstoffe (hauptsächlich synthetische Pestizide) um 33%.
  • Rückgang um 23% bei Stoffen mit besonderem Risikopotenzial.
  • Herbizide um 44% gesenkt.

Heute sind die Verkaufsmengen von Wirkstoffen, die für den ökologischen und konventionellen Landbau zugelassen sind, fast gleich: 1122 Tonnen gegenüber 1080 Tonnen, was 2008 bei weitem nicht der Fall war (604 Tonnen gegenüber 1633 Tonnen).

Top 5 der meistverkauften synthetischen Pestizide und ihre Toxizität

Glyphosat H, 182 Tonnen (+72%)

Genotoxisch und wahrscheinlich krebserregend

Im März 2015 stufte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend für den Menschen (Non-Hodgkin-Lymphome) ein. Sie kam außerdem zu dem Schluss, dass es starke Hinweise darauf gibt, dass diese Substanz genotoxisch, d. h. in der Lage ist, die DNA zu schädigen. Zur Erinnerung: Die Bewertung der IARC beruht auf der systematischen Prüfung aller relevanten und öffentlich zugänglichen Studien durch unabhängige Expert:innen – im Gegensatz zur Bewertung durch Gesundheits- und Regulierungsbehörden, die sich fast ausschließlich auf vertrauliche Studien der Hersteller stützen.

Endokriner Disruptor

Im Jahr 2022 zeigte eine vom INRAE, dem nationalen Forschungsinstitut für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt, erstellte Literaturübersicht, dass Glyphosat ein endokriner Disruptor (hormonwirksam) ist. Es wurde zudem auf die Wirkungsmechanismen von Glyphosat und Herbiziden auf Glyphosatbasis auf die männliche und weibliche Fruchtbarkeit bei Tieren und Menschen hingewiesen.

Neurotoxisch

Eine Studie, die sich auf 2961 in Kalifornien lebende Personen mit Autismus-Spektrum-Störungen mit oder ohne geistige Behinderung stützte, zeigte einen deutlichen Zusammenhang zwischen pränataler Glyphosatexposition und der Entwicklung des Syndroms.

Störung der Darmflora

Da Glyphosat auf ein Enzym abzielt, das sowohl in Pflanzen als auch in Bakterien vorkommt, wird vermutet, dass es selbst in geringen Dosen zu einer Dysbiose der Darmmikrobiota führt. D. h. Gylphosat kann zu einer Störung des Gleichgewichts der Mikrobiota führen, was bestimmte Krankheiten wie entzündliche Darmerkrankungen, Angst- und Depressionsstörungen, Fettleibigkeit oder Diabetes prädisponiert.

Folpet F, 138 Tonnen (+32%)

Karzinogen

Diese Substanz wird von den europäischen und schweizerischen Regulierungsbehörden verdächtigt, Krebs zu verursachen (Zwölffingerdarmkrebs).

Starke Reizwirkung auf die Schleimhäute

Folpet ist schädlich beim Einatmen, verursacht schwere Augenreizungen und kann Hautallergien hervorrufen.

Captam F, 76 Tonnen (+61%)

Karzinogen

Diese Substanz wird von den europäischen und schweizerischen Regulierungsbehörden verdächtigt, Krebs zu verursachen.

Starke Reizwirkung auf die Schleimhäute

Captan verursacht schwere Augenschäden und kann Hautallergien hervorrufen.

Metiram F, 39 Tonnen (+1700%!)

Endokriner Disruptor

Am 7. November 2023 beschloss die Europäische Kommission, die Zulassung des Wirkstoffs nicht zu erneuern, und kam zu dem Schluss, dass Metiram die Kriterien für einen endokrinen Disruptor für den Menschen erfüllt.

Die explosionsartige Zunahme der Verkäufe dieser Substanz im Jahr 2022 um 1700 % war sicherlich nicht unbeteiligt an dieser Entscheidung, die bereits seit einiger Zeit erwartet wurde.

Pendimethalin H, 28 Tonnen (+9,5%)

Dieser Wirkstoff hat ein besonderes Risikopotenzial, d. h. er besitzt gemäß dem "Aktionsplan zur Risikominderung und nachhaltigen Nutzung von Pflanzenschutzmitteln" besonders negative Eigenschaften für die menschliche Gesundheit und die Umwelt .

Endokriner Disruptor

Im Jahr 2021 stellte Anses fest, dass es experimentelle Daten gibt, die darauf hindeuten könnten, dass diese Substanz hormonschädigend ist. Sie wird von den europäischen Regulierungsbehörden zudem der Reproduktionstoxizität (den Fötus schädigend) verdächtigt.

Quellen

Links:

1. BLW, Verkaufsvolumen von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen 2022: https: //www.blw.admin.ch/blw/fr/home/nachhaltige-produktion/pflanzenschutz/verkaufsmengen-der-pflanzenschutzmittel-wirkstoffe.html

2. IARC Monograph on Glyphosate, 2015: https://www.iarc.who.int/wp-content/uploads/2018/07/MonographVolume112-1.pd

3. INRAE, Glyphosat stört die Fortpflanzungsfunktionen von Tier und Mensch 2022: https: //www.inrae.fr/actualites/glyphosate-perturbe-fonctions-reproduction-animale-humaine 

4. Ondine S von Ehrenstein, Chenxiao Ling, Xin Cui, et al. Prenatal and infant exposure to ambient pesticides and autism spectrum disorder in children: population based case-control study. BMJ 2019; 364: https://www.bmj.com/content/364/bmj.l962

5. INSERM, Pesticides and effects on health. Neue Daten © Éditions EDP Sciences, 2021

https://www.inserm.fr/wp-content/uploads/2021-07/inserm-expertisecollective-pesticides2021-rapportcomplet-0.pdf

6. Stähler, Folpet: Datenblatt 2023: https: //www.staehler.ch/fr/produkte-export/datenblatt/1308

7. Stähler, Captan. Sicherheitsdatenblatt 2018: https://www.staehler.ch/produkte/sicherheitsdatenblatt/captan_s_wg__f__01.pdf

8. Amtsblatt der Europäischen Union. Durchführungsverordnung (EU) 2023/2455 der Kommission vom 7. November 2023: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/FR/TXT/PDF/?uri=OJ:L_202302455

9. BLW, Kriterien für PSM mit besonderem Risikopotenzial 2023: https: //www.blw.admin.ch/dam/blw/fr/dokumente/Nachhaltige%20Produktion/Pflanzenschutz/AktionsplanPflanzenschutzmittel/anpanh91jan2023.pdf.download.pdf/Crit%C3%A8res%20relatifs%20aux%20PPh%20pr%C3%A9sentant%20un%20potentiel%20de%20risque%20particulier_1%20janvier%202023.pdf

10. Science, R. Schulz, S. Bub, S. Stehle, et al. Applied pesticide toxicity shifts towards plants and invertebrates, even in GM crops. Science 2021: https://www.science.org/doi/10.1126/science.abe1148

11. BLW, Risikoindikatoren Pflanzenschutzmittel 2021: https://www.blw.admin.ch/blw/fr/home/nachhaltige-produktion/pflanzenschutz/risikoindikatoren_pflanzenschutzmittel.html

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