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Klimakrise = Krise der Bestäubung? Wie die globale Erhitzung die Bestäubung gefährdet - Teil 2

Solène Schaub
Von
Solène Schaub
am
17/1/25
In Kürze

Der Klimawandel in der Schweiz begünstigt die Ansiedlung neuer Insekten- und Pflanzenarten, die mit bestehenden Arten konkurrieren und diese verdrängen können, wodurch die Bestäubung gefährdet wird. Dies kann zu einem verstärkten Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft führen, was eine zusätzliche Bedrohung für bestäubende Insekten darstellt. Der vermehrte Einsatz von Pestiziden bedeutet auch mehr Giftstoffe in Lebensmitteln, Luft und Trinkwasser, was potenziell schädlich für den Menschen ist.

Einführung

Im ersten Teil haben wir uns mit den unmittelbaren Auswirkungen der globalen Erwärmung auf bestäubende Insekten und ihre Blütenpflanzen befasst. Zum Beispiel, dass es für die Bestäuber schwieriger wird, die Pflanzen zu finden, da sich die Lebensräume der beiden Arten von Lebewesen bei steigenden Temperaturen nicht an denselben Stellen wachsen oder mit derselben Geschwindigkeit verändern. Der Klimawandel kann die Bestäubung aber auch indirekt stören: durch die Begünstigung invasiver Arten, die Verdrängung bestehender Arten und den verstärkten Einsatz von Pestiziden.

Invasive Neophyten können bestehende Arten verdrängen

Wenn Neophyten, d. h. neue Pflanzenarten, in die Schweiz eingeführt werden, können sie sich hier je nach den lokalen klimatischen, geologischen und biologischen Bedingungen ansiedeln. Wenn sich diese neuen Arten stark ausbreiten und somit einen invasiven Charakter aufweisen (siehe unten "Invasive Neophyten und Neozoen"), kann dies zu einem Problem für bestehende Ökosysteme werden.

Der Klimawandel begünstigt die Ansiedlung und Ausbreitung neuer Arten, die besser mit sich verändernden Umweltbedingungen zurechtkommen [1]. Darüber hinaus bieten höhere Temperaturen Lebensräume für Arten, die aus wärmeren Regionen stammen [2]. Die globale Durchschnittstemperatur ist seit der vorindustriellen Zeit (1871-1900) um 1,3 °C gestiegen; in der Schweiz beträgt der Temperaturanstieg sogar 2,8 °C [3]. Daher wird in den kommenden Jahren mit einer weiteren Zunahme invasiver Neophyten gerechnet [4].

Studien [5] haben gezeigt, dass invasive Neophyten bestehende Pflanzenarten verdrängen und die Vielfalt an Blütenpflanzen reduzieren können. Zwar kann das Angebot an Blütenpflanzen durch invasive Arten vorübergehend erweitert werden, doch können die verdrängten wichtigen Blütenressourcen im Laufe des saisonalen Jahres fehlen.

Mögliche positive Auswirkungen einer vorübergehenden Erhöhung des Blumenangebots sind artspezifisch, d. h. einige Insektengruppen (z. B. Schwebfliegen, Honigbienen) profitieren stärker als andere (z. B. Wildbienen). Außerdem haben die Pollen und der Nektar der Neophyten oft eine andere Qualität als die vorhandene Flora, so dass die Gesundheit der bestäubenden Insekten beeinträchtigt und ihr Verhalten gestört werden kann, wenn sie sich von Neophyten ernähren [6].

Gleichzeitig tragen bestäubende Insekten ihrerseits zur Ausbreitung invasiver Pflanzenarten bei. Beispielsweise haben Hummeln die Ausbreitung des Drüsigen Springkrauts(Impatiens glandulifera), eines invasiven Neophyten aus dem Himalaya, deutlich gefördert [6], [7]. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Auswirkungen invasiver Pflanzen auf die Bestäubung komplex sind und sowohl positive als auch negative Effekte zu erwarten sind.

Invasive Neophyten und Neozoen

Neophyt ("neos" (griechisch) = neu, "phyton" (griechisch) = Pflanze): Eine Pflanze, die nach 1492 (Entdeckung Amerikas) neu in einem Ökosystem aufgetaucht ist und ohne menschliche Hilfe überleben kann [8].
Neozoon ("neos" (griech.) = neu, "zoon" (griech.) = Tier): Tier, das nach 1492 (Entdeckung Amerikas) eingeführt wurde und ohne menschliche Hilfe überleben kann [9].
Invasiv = Ein invasiver Organismus breitet sich schnell aus und hat ein hohes Schädigungspotenzial. Sowohl neue Arten als auch einheimische (seit langem vorhandene) Arten können invasiv sein [8].
Invasive Neophyten in Zahlen: In der Schweiz sind rund 56'000 Pflanzen-, Tier- und Pilzarten bekannt [10]. 750 der geschätzten 4'000 Pflanzenarten sind Neophyten, von denen 88 als invasiv gelten. Etwa 90% der Neophyten sind in unsere Umwelt integriert und bereichern die Flora (z.B. die Rosskastanie oder das Kleine Balsamin) [11].

Neue invasive Insekten können mit bestehenden Arten konkurrieren und sie verdrängen.

Wie bei den Pflanzen wird auch bei den Insekten erwartet, dass die Zahl neuer Arten zunimmt, was durch den Klimawandel begünstigt wird [12]. In diesem Zusammenhang können neue Insekten die Bestäubung auf zwei Arten bedrohen: Zum einen können neue Insektenarten Neophyten bestäuben, so zu deren Verbreitung beitragen und bestehende Pflanzenarten verdrängen. Zum anderen konkurrieren oder verdrängen die neuen Insekten bestehende Bestäuber [13]. In diesem Zusammenhang würde die Effizienz des Blütensammelns für neue bestäubende Insekten reduziert, die gesammelten Blüten jedoch häufiger gesammelt werden [14].

Ein Beispiel für Konkurrenz und Verdrängung sind Honigbienenarten, die absichtlich gezüchtet und eingeführt wurden. So ist die früher weit verbreitete Dunkle Biene(Apis mellifera mellifera) in der Schweiz immer seltener anzutreffen. Hinzu kommt, dass sich die Dunkle Biene mit den gezüchteten und eingeführten Arten paaren kann, was zu gemischten und schlecht angepassten Genomen führen kann [15].

Ein weiteres Beispiel ist die Asiatische Hornisse(Vespa vetulina). Die Asiatische Hornisse ist in Südostasien beheimatet und jagt verschiedene bestäubende Insekten, um ihre Larven zu ernähren (darunter Honigbienen, Wildbienen, Wespen, Fliegen und Schmetterlinge) [16]. Die bestehenden Bestäubungssysteme leiden unter den räuberischen Aktivitäten der Asiatischen Hornisse. In Gegenwart der Asiatischen Hornisse wurden eine geringere Häufigkeit von Blütenbesuchen und ein Rückgang der Bestäuberpopulationen beobachtet [17]. Zwar ist die Asiatische Hornisse auch ein Bestäuber, aber ihre Bestäubungskapazität ist geringer als die der Arten, die sie verdrängt [18]. Für eine genaue Bestäubungsprognose sind weitere Studien erforderlich. Die bisherigen Erkenntnisse lassen jedoch den Schluss zu, dass die Bestäubung unter der Ausbreitung der Asiatischen Hornisse leiden wird.

Noch mehr Pestizide wegen des Klimawandels

Dürren, starke Regenfälle und andere extreme Wetterereignisse erhöhen das Risiko niedriger Erträge in der Landwirtschaft, was wiederum zu einem verstärkten Einsatz von Pestiziden führt. Viele Pestizide sind jedoch für bestäubende Insekten hochgiftig [19], weshalb ein verstärkter Einsatz die Bestäuberpopulationen gefährdet. Aber warum genau wird eine Zunahme des Pestizideinsatzes erwartet [20]?

  • Pestizide verteilen sich bei höheren Temperaturen schneller. Eine größere Verbreitung in der Umwelt würde dazu führen, dass die Einsatzmengen steigen, um die Verluste auszugleichen.
  • Auch im Boden führen höhere Temperaturen zu einem schnelleren Abbau der Chemikalien. Die kürzere Wirkungsdauer könnte auch durch einen höheren Einsatz ausgeglichen werden.
  • Eine Zunahme der Häufigkeit starker Regenfälle führt zu einer stärkeren Auswaschung von Pestiziden, die dann in die umliegenden Ökosysteme gelangen, die nicht Ziel der Anwendung sind.
  • Pestizide, insbesondere Insektizide, werden als Reaktion auf den zunehmenden Druck durch Schädlinge häufiger eingesetzt. Es gibt mehrere Gründe, warum Schädlinge in der Landwirtschaft künftig zunehmen werden:
    • Höhere Temperaturen fördern eine schnellere Entwicklung der Insekten und führen daher zu einer größeren Anzahl von Insektengenerationen pro Jahr.
    • Wärmere Temperaturen regen den Stoffwechsel an. Dadurch müssen die Insekten mehr fressen, was zu größeren Schäden an den Kulturen führt.
    • Mildere Winter senken die Sterblichkeitsrate von Insekten im Winter.
    • Der Klimawandel begünstigt die Ansiedlung neuer Arten, von denen einige landwirtschaftliche Kulturen schädigen können (Beispiel: Japan-Käfer).
    • Der Klimawandel kann die Abwehrkräfte der Pflanzen schwächen. Sie werden anfälliger für Krankheiten und Schädlingsbefall.

Mehr Pestizide bedeuten insbesondere mehr Giftstoffe - auf Lebensmitteln, in der Luft und im (Trink-)Wasser -, die auch für uns Menschen potenziell schädlich sind.

Schlussfolgerung

  • Auch wenn es schwierig ist, Vorhersagen zu treffen, da Bestäubungssysteme komplex und die Einflussfaktoren zahlreich sind, steht zu befürchten, dass die Bestäubung durch die indirekten Folgen des Klimawandels noch stärker gefährdet wird.
  • Zu den indirekten Folgen gehören Konkurrenz und Verdrängung bestehender Arten durch invasive Neophyten und Neozoen sowie der verstärkte Einsatz von Pestiziden.
  • Um die Bestäubung zu gewährleisten, sind Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung von bestäubenden Insekten noch dringender erforderlich. Flächen mit ausreichender Biodiversität müssen flächendeckend angelegt werden, insbesondere auf Ackerland. Pestizide müssen sorgfältig, gezielt und mit deutlich geringeren Wirkstoffmengen eingesetzt werden.

[Originalquelle: Ohnegift.ch].

Unser Dank gilt dem Team von ohnegift, das uns freundlicherweise die Erlaubnis erteilt hat, ihren Artikel zu publizieren.

Quellen

[1] Turbelin & Catford (2021): Chapter 25 - Invasive plants and climate change.

[2] Essl et al. (2020): Drivers of future alien species impacts: An expert-based assessment.

[3] MetoSchweiz: Klimawandel (6.11.2024)

[4] Seebens et al. (2020): Projecting the continental accumulation of alien species through to 2050.

[5] Z.B. Kovács-Hostyánszki et al. (2022): Threats and benefits of invasive alien plant species on pollinators. oder Morales et al. (2017). Disruption of Pollination Services by Invasive Pollinator Species.

[6] Stout & Tiedeken (2017): Direct interactions between invasive plants and native pollinators: evidence, impacts and approaches.

[7] Info Flora (2022): Liste der invasiven gebietsfremden Arten.

[8] Info Flora: Invasive Neophyten (27.10.2024)

[9] Info Fauna: Neozoa (gebietsfremde Tierarten). (27.10.2024)

[10] BAFU (2023): Artenvielfalt in der Schweiz (05.11.2024)

[11] Neophyt.ch (2023): Invasive Neophyten (05.11.2024)

[12] Für das Beispiel der Asiatischen Hornisse: Barbet-Massin et al. (2013): Klimawandel erhöht das Risiko einer Invasion durch die Gelbspöttische Hornisse.

[13] Kremen & Ricketts (2000): Global Perspectives on Pollination Disruptions.

[14] Debnam et al (2021): Exotic insect pollinators and native pollination systems.

[15] Parejo, Dietemann & Praz (2021): Der Status freilebender Völker der Dunklen Honigbiene (Apis mellifera mellifera) in der Schweiz - Literatursynthese und Expertenempfehlungen.

[16] Arbeitsgruppe Asiatische Hornisse (2024): Asiatische Hornisse (Vespa velutina) Empfehlungen.

[17] Rojas-Nossa & Calvino-Cancela (2020): The invasive hornet Vespa velutina affects pollination of a wild plant through changes in abundance and behaviour of floral visitors. und Chen et al (2019): The flip side of the coin: ecological function of the bee-hawking Asian hornet .

[18] Rojas-Nossa et al (2023): Predator and pollinator? An invasive hornet alters the pollination dynamics of a native plant.

[19] Reshi et al. (2024): Pesticide Pollution: Potential Risk to Insect Pollinators and Possible Management Strategies.

[20] Pesticide Action Network UK (2023): Pesticides and the Climate Crisis: A Vicious Cycle (Pestizide und die Klimakrise: Ein schädlicher Kreislauf).

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